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Das Aion - Kinder der Sonne

Das Aion - Kinder der Sonne

Titel: Das Aion - Kinder der Sonne
Autoren: Michael Marrak
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»Dann erkläre ich die Anhörung hiermit für eröffnet.«
    »Die Delinquenten mögen als Erstes die Beweggründe für ihr frevlerisches Handeln darlegen«, bestimmte der Sittenrichter. »Anschließend wird ihnen das Recht gewährt, sich zu den gegen sie erhobenen Anschuldigungen zu äußern.«
    Mira und Jiril tauschten einen kurzen Blick, wobei jeder im Gesicht des anderen zu lesen versuchte. Dann begannen sie abwechselnd zu erzählen, bemüht, nichts von ihrem wahren Auftrag preiszugeben, vom Aion und der Terramotus-Anlage ganz zu schweigen. Weder Bassal Diala noch der Sittenrichter erweckten nämlich den Eindruck, einen Existenzkrieg zwischen einer sich selbst erbauenden Hightechfabrik und einem äonenalten Wasserwesen geistig nachvollziehen zu können. Dennoch ließ sich nicht vermeiden, dass die beiden irgendwann auf den Anlass ihrer Verfehlung zu sprechen kamen: die Arcasie.
    »Eine Arcasie?«, wiederholte der Wachkommandant zweifelnd. Er zog die Augenbrauen zusammen und sah Mira und Jiril finster an. »Was soll das sein?«
    »Dieses Wort besitzt einen überaus exquisiten Klang«, bemerkte der Sittenrichter. »Es handelt sich eventuell um eine unschätzbar wertvolle Kostbarkeit aus Gold – eine Herrscherkrone möglicherweise oder ein Tabernakel …«
    »Dann seid ihr also Schatzräuber?«, griff Bassal Diala den Gedanken auf. »Diebesgesindel? Halunkenpack?«
    »Nein, Herr Kommandant«, versicherte Mira. »Warum sollten wir eine derartige Kostbarkeit stehlen wollen?«
    »Vielleicht, um sie in Goldstaub zu verwandeln und sich damit einzureiben«, spekulierte der Sittenrichter in Anspielung auf Miras Hautfarbe. »Oder um sie aufzuessen, so, wie es die Taoisten zur Zeit der Drei Reiche taten. Sie glaubten, dass, wer Gold esse, so lange lebe wie Gold, und wer Jade esse, so lange lebe wie Jade.« Er wandte sich zum Wachkommandanten um und sagte: »Man müsste das Mädchen aufschneiden, um zu sehen, ob goldenes Blut durch seine Adern fließt.«
    »Aufschneiden?«, wiederholte Mira erschrocken. »Mich? Jetzt? Hier?«
    »Aderlass ist die verlässlichste Methode, um zu erkennen, womit man es zu tun hat«, sagte der Sittenrichter. »Das Blut von Hexen bleibt in der Luft schweben. Das Blut von Vampiren flieht vor dem Sonnenlicht. Das Blut von Dschinns fließt auf dem Boden ständig im Kreis herum, und das Blut von Wolfsmenschen verwandelt sich im Mondlicht in grimmiges Werblut, das jedem in die Füße beißt.«
    Ein ungeduldiges Tröten lenkte die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf den antiken Kommunikationsapparat.
    »Der verehrte Herr Magistrat wünscht auf der Stelle zu erfahren, was diese geheimnisvolle Arcasie überhaupt für ein Ding sei«, übersetzte Bassal Diala die unverständlichen Töne.
    »Nun, es ist nur eine …« Mira zögerte kurz. »Eine Samenkapsel.«
    »Samenraub!«, ereiferte sich der Sittenrichter. »Ein schwerwiegendes Verbrechen!«
    »Soso«, brummte der Wachkommandant. »Eine Samenkapsel also. Und welcher Art, wenn ich fragen darf? Eine Schote? Eine Frucht oder Steinbeere? Eine Nuss womöglich oder ein Zapfen?«
    »Das wissen wir nicht so genau«, gestand Mira. »Selbst in den Bibliotheken haben wir nichts Verlässliches darüber gefunden.«
    »Dann gibt es diese Arcasien auch nicht!«, entschied der Sittenrichter kurzum. »Was unsere Archive nicht kennen, existiert nicht. Die Delinquentin versucht uns zum Narren zu halten.«
    »Vielleicht ist der darabarische Weltenbaum ja unfruchtbar …«, bemerkte Jiril.
    Bassal Diala seufzte schwer, ging langsam um seinen Schreibtisch herum und ließ sich in seinen Sessel plumpsen. Abwechselnd sah er zu Mira und zu Jiril, wobei er mit den Fingerspitzen unruhig gegen die Tischkante trommelte. »Diese ganze Geschichte klingt in meinen Ohren reichlich unglaubwürdig«, sagte er schließlich. »Können das die übrigen Anwesenden bestätigen?«
    Der Wachtrupp salutierte und verkündigte einstimmig: »Bestätigt!«
    »Prächtig, prächtig!«, bemerkte der Sittenrichter und rieb sich in Vorfreude auf die Verurteilung die Hände.
    Das Gerät mit dem Schalltrichter begann kurz zu quäken.
    »Ganz Eurer Meinung«, kommentierte der Wachkommandant die undefinierbaren Laute. An Jiril, Mira und den Schwarzgekleideten gewandt verkündete er: »Der ehrwürdige Herr Magistrat ist von der Schuld der Delinquenten überzeugt und fordert eine angemessene Bestrafung.«
    Die Augen des Sittenrichters begannen zu funkeln. »Ziviler Ungehorsam ist ein nicht unerheblicher
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