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Das 3. Buch Des Blutes - 3

Das 3. Buch Des Blutes - 3

Titel: Das 3. Buch Des Blutes - 3
Autoren: Clive Barker
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wieder davonlaufen, also konnte er ruhig ins Bett zurück.
    Draußen hatte der Regen die Heimfahrt der Pendler zu einem Kriechen verlangsamt, es gab Unfälle, einige davon tödlich, heißgelaufene Motoren, auch Herzen. Er hörte der Jagd zu; der Schlaf kam und ging. Es war mitten am Abend, als Durst ihn wieder weckte: Er träumte Wasser, begleitet vom gleichen Geräusch wie vorhin. Das Geschöpf zog sich aus der Wanne, legte die Hand auf die Klinke, öffnete die Tür.
    Da stand es. Das einzige Licht im Schlafzimmer kam von der Straße; es beleuchtete den Besucher nur schwach. »Gavin? Bist du wach?«
    »Ja«, antwortete er.
    »Hilfst du mir?« fragte es. Nicht die Spur einer Drohung lag in seiner Stimme, es bat, wie ein Mann seinen Bruder bitten mochte, um der Verwandtschaft willen.
    »Was willst du?«
    »Zeit zum Heilen.«
    »Heilen?«
    »Mach das Licht an.«
    Gavin schaltete die Lampe neben dem Bett an und betrachtete die Gestalt an der Tür. Sie hatte die Arme nicht mehr über der Brust gekreuzt, und Gavin sah, daß diese Haltung eine beängstigende Schußwunde verdeckt hatte. Das Fleisch ihrer Brust war zerfetzt und gab den Blick auf ihre farblosen Eingeweide frei. Blut war natürlich keines vorhanden, das würde sie nie haben. Ebensowenig konnte Gavin aus dieser Entfernung in ihrem Innern irgend etwas erkennen, das auch nur ansatzweise menschlicher Anatomie ähnlich gesehen hätte.
    »Gütiger Gott«, sagte er.
    »Preetorius hatte Freunde«, sagte sein Gegenüber, und seine Finger berührten den Rand der Wunde. Die Geste ließ in Gavin ein Bild an der Wand im Haus seiner Mutter wiedererstehen.
    Der Verklärte Jesus, das Geheiligte Herz frei schwebend im Innern des Erlösers, während seine Finger, auf die erduldete Schmerzenspein deutend, sagten: »Dies war um deinetwillen.«
    »Wieso bist du nicht tot?«
    »Weil ich noch nicht am Leben bin«, sagte es.
    Noch nicht. Merk dir das, dachte Gavin. Es hat Ansätze zur Sterblichkeit. »Hast du Schmerzen?«
    »Nein«, sagte es traurig, als ob es sich nach dieser Erfahrung sehnte, »ich spüre nichts. Alle Anzeichen von Leben sind nur äußerlich. Aber ich bin dabei zu lernen.« Es lächelte. »Ich hab’
    das Gähnen raus und den Furz.« Die Vorstellung war so unsinnig wie rührend: daß es das Furzen erstrebenswert finden sollte, daß ihm ein lachhafter Fehler im Verdauungssystem ein kostbares Zeichen des Menschseins war.
    »Und die Wunde?«
    »Heilt. Verheilt mit der Zeit vollständig.«
    Gavin sagte nichts.
    »Ekle ich dich an?« fragte es mit unverändertem Tonfall.
    »Nein.«
    Die makellosen Augen starrten Gavin an, seine makellosen Augen. »Was hat dir Reynolds erzählt?« fragte es.
    Gavin zuckte mit den Achseln. »Sehr wenig.«
    »Daß ich ein Monster bin? Daß ich den menschlichen Geist aussauge?«
    »Nicht direkt.«
    »Mehr oder weniger.«
    »Mehr oder weniger«, räumte Gavin ein.
    Es’nickte. »Er hat recht«, sagte es. »Auf seine Weise hat er recht. Ich brauche Blut; das macht mich zu einem Monster. In meiner Jugend, vor einem Monat, hab’ ich darin gebadet. Seine Berührung ließ das Holz wie Fleisch aussehen. Aber jetzt brauch’ ich es nicht, der Prozeß ist beinahe abgeschlossen.
    Alles, was ich jetzt brauche …«
    Es stockte; nicht, dachte Gavin, weil es vorhatte zu lügen, sondern weil sich die Worte zur Schilderung seiner Verfassung nicht einstellen wollten.
    »Was brauchst du?« drängte Gavin.
    Es schüttelte den Kopf, schaute auf den Teppich hinunter. »Ich hab’ mehrere Male gelebt, weißt du. Manchmal hab’ ich ein Leben gestohlen und kam ungestraft davon. Lebte eine norma le Zeitspanne lang, schüttelte dann das Gesicht ab und fand ein neues. Manchmal, wie beim letztenmal, hat man mich zum Kampf herausgefordert, und ich verlor …«
    »Bist du so etwas wie eine Maschine?«
    »Nein.«
    »Was dann?«
    »Ich bin, was ich bin. Ich kenne niemanden wie mich, obwohl warum sollte ich der einzige sein? Vielleicht gibt es andere, viele andere, und ich kenne sie einfach noch nicht. So leb’ ich und s terb’ ich und lebe wieder, und erfahre nichts« - bitter wurde das Wort ausgesprochen - »über mich selbst. Verstehst du? Du weißt, was du bist, weil du andere siehst, die so sind wie du. Wenn du allein auf der Welt wärst, was wüßtest du dann?
    Was dir der Spiegel erzählt, sonst nichts. Alles übrige wäre Mythos und Mutmaßung.«
    Dieser kurze Abriß wurde ohne Gefühlsregung vorgebracht.
    »Kann ich mich hinlegen?« bat es.
    Langsam ging es
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