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Dark Room

Dark Room

Titel: Dark Room
Autoren: Sophie Andresky
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wie die Rufe der Polizei und das Stimmengewirr der anderen Labyrinthgänger leiser wurden. Niemand war ihr nachgekommen, das hatte sie zuerst gewundert und dann erleichtert. Mit anderen auf der Flucht hätte sie womöglich sprechen müssen, und das hätte ihr den Abend verdorben. Zum Reden ging sie schließlich nicht ins Labyrinth. Aber jetzt, plötzlich, wusste sie, dass da jemand war. Sie hörte genauer hin, versuchte, an ihren eigenen Geräuschen, ihrem Atem vorbeizuhören, und tatsächlich: Irgendwer lief hinter ihr.
    Sie seufzte. Vielleicht doch einer der anderen. Oder ein Schlafloser, der ein bisschen nacktes Fleisch sehen wollte. Oder jemand, der von der Schicht kam und dachte, er habe eine Erscheinung. Fiona schnaubte genervt. Bloß keine Anmache jetzt. Sie war müde gefickt, in ihrem Kopf brodelte ein chemischer Cocktail, von dem sie nicht wusste, welche Farbe und Stimmung er zaubern konnte, und außerdem würde es bald hell werden. Sie legte einen Zahn zu.
    Diese Gegend kannte sie gut, sie war erst vor wenigen Tagen hier gewesen und hatte ihre Tante besucht: Die kleinen Straßen, die alle auf -weg endeten, und die Einfamilienhäuser mit den hohen Zäunen davor würden sich vermutlich niemals ändern. Sie lief in eine Seitenstraße und bog weitere zwei Male rechts ab, sodass sie wieder auf die ursprüngliche Straße kam. Wenn der andere nichts mit ihr zu tun hatte oder nur mal gucken wollte, wer denn dieser halb nackte Engel war, der durchs nächtliche Zehlendorf hetzte, müsste er jetzt vor ihr sein, es sei denn, er folgte ihr gezielt, dann wusste sie mit Sicherheit, dass er sie jagte.
    Sie horchte die Straße hinunter, und bald schon erklang wieder das vertraute Klacken zwischen ihren eigenen Schritten. Es war also kein Zufall. Der andere bewegte sich ebenso zügig wie sie, ein sportlicher Verfolger. Und er kam näher. Fiona seufzte und rollte mit den Augen: anscheinend jemand, der »hinterherrennen« wörtlich nahm und es für eine geeignete Form der Kontaktaufnahme hielt. Sie überlegte, ob sie kurz warten und sich sein Angebot anhören sollte, einfach damit sie sich nicht länger mit ihm beschäftigen musste. Aber sie entschied sich dagegen, sie hatte einfach keine Lust, sich erwachsen zu benehmen und ihm therapeutisch zu erklären, dass ihr merkwürdiges Outfit keine Einladung bedeutete. Und schon gar nicht hatte sie Lust, sich von ihm anzuhören, was er sich erhoffte. Sie war schließlich keine Wunschfee, die für die Zauberstäbe einsamer Zehlendorfer zuständig war. Sie lief schneller. Er würde schon aus der Puste kommen und die Lust verlieren. Fast musste sie lächeln bei der Vorstellung, wie er mit hängender Zunge hinter ihr her hechelte.
    Doch dann passierte etwas, mit dem Fiona nicht gerechnet hatte:
    Es war nicht wirklich ein Geräusch, mehr ein Gefühl, ein Sirren, dicht an ihrem Ohr, und beim ersten Mal konnte sie es gar nicht einordnen. Als sie es das zweite Mal wahrnahm, suchte sie instinktiv vor sich den Gehweg ab und sah, als sie gerade darüber sprang, einen kleinen silbrigen Pfeil, der noch ein paar Zentimeter weiterrollte. Wie ein Dartpfeil, nur dünner und mit vielen kleinen Federn am Ende. Es sirrte zum dritten Mal, und Fiona konnte es kaum glauben. Das durfte nicht wahr sein. Da lief irgendein Irrer hinter ihr her und schoss mit einem Blasrohr auf sie. Sie überlegte, was geschehen würde, wenn er sie traf; egal, ob der Pfeil mit Gift oder Betäubungsmittel gefüllt war, es würde auf jeden Fall wehtun.
    Okay, er will also nicht spielen, sondern er jagt – das kann ich gebrauchen wie Herpes.
    Jetzt hatte sie die Nase voll. Hielt er sich für den Indiana Jones der Vorstädte? Sie spürte ein leises, inneres Knirschen wie von einem schweren Karussell, das angeschoben wurde – die Pillen würden bald alles auf den Kopf stellen.
    Sie drehte sich im Laufen kurz um und sah gerade noch, wie eine schmale, mittelgroße Gestalt hinter einen geparkten Geländewagen sprang. Mehr war nicht zu erkennen.
    So langsam eilte es, sie musste ihn loswerden, bevor der chemische Cocktail zündete, denn es war völlig unabsehbar, wie sie sich dann verhalten würde. Vielleicht machte sie mit und hatte hier und jetzt auf der Straße Sex mit ihm, oder sie könnte losrennen, direkt auf ihn zu, ihn anspringen und ihm den Kiefer eintreten. Das war alles schon passiert.
    Männer nannten sie gern Vögelchen, Spätzchen oder Engelchen, weil sie langes hellblondes, fast silbriges Haar hatte und so jung aussah.
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