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Danse Macabre

Danse Macabre

Titel: Danse Macabre
Autoren: Stephen King
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etwas, das da ist; sondern vielmehr etwas, das nicht
mehr da ist.
Kinder sind gekrümmt. Sie denken um Ecken herum. Aber
etwa mit acht Jahren, wenn die zweite große Ära der Kindheit beginnt, werden die Kinder eines nach dem anderen gerade. Die Grenzen von Gedanken und Sehweise verengen
sich zu einem Tunnel, während wir uns darauf vorbereiten,
voranzukommen. Und wenn wir schließlich nicht mehr imstande sind, mit einem gewissen Nutzen mit dem NiemalsNiemals-Land zurechtzukommen, bleibt uns nur die kleinere
Version in der lokalen Disco … oder im Februar oder März
eine Reise nach Disney World.
Die Phantasie ist ein Auge, ein wunderbares drittes Auge,
das frei schwebt. Bei Kindern sieht dieses Auge mit einem
Sehvermögen von 20/20. Wenn wir älter werden, wird sein
Sehvermögen schwächer …, und eines Tages läßt einen der
Typ an der Bar eintreten, ohne daß er einen Altersnachweis
sehen will, und dann ist es aus für Sie, Freundchen; der Würfel ist gefallen. Es ist in Ihren Augen. Etwas in IhrenAugen.
Sehen Sie in den Spiegel und sagen Sie mir, ob ich mich irre.
Aufgabe des Fantasy- oder Horror-Autors ist es, die Mauern dieserTünnelsehweise kurze Zeit aufzubrechen; ein einmaliges, heftiges Schauspiel für das dritte Auge zu bieten.
Aufgabe des Fantasy- und Horror-Autors ist es, Sie eine Zeitlang wieder zum Kind zu machen.
Und der Horror-Autor selbst? Jemand anders würde sich
die Geschichte der kleinen Miß Nobody (ich hab’ Ihnen ja gesagt, wir würden wieder auf sie zu sprechen kommen, und
hier ist sie wieder, immer noch unidentifiziert und so geheimnisvoll wie der Wolfsjunge aus Paris) durchlesen und sagen:
»Ja, nun, man kann eben nie wissen, oder?« und würde sich
etwas anderem zuwenden. Aber der Phantast fängt an damit
zu spielen, wie es ein Kind tun würde, er würde über Kinder
aus anderen Dimensionen spekulieren, über Doppelgänger,
über Gott weiß was alles. Es ist ein Kinderspielzeug, etwas
Glänzendes und Leuchtendes und Seltsames. Drücken wir
einen Schalter und finden wir heraus, was es macht, schieben
wir es über den Boden und stellen wir fest, ob es Rum-rumrum oder Wacka-wacka-wacka macht. Drehen wir es herum
und sehen wir, ob es sich auf magische Weise wieder aufrichtet. Kurz gesagt, haben wir unseren Fortianischen Fröscheregen und unsere Menschen, die auf geheimnisvolle Weise verbrannt sind, während sie zu Hause auf ihren Schaukelstühlen
saßen; haben wir unsere Vampire und unsere Werwölfe.
Haben wir unsere kleine Miß Nobody, die vielleicht seitwärts
durch einen Riß in der Wirklichkeit geschlüpft kam, um dann
in der Panik eines brennenden Zirkuszelts zu Tode getrampelt
zu werden.
Etwas von alledem findet sich in den Augen all derer, die
Horror-Geschichten schreiben. Ray Bradbury hat die verträumten Augen eines Kindes. Und Jack Finney hinter seinen
dicken Brillengläsern auch. Derselbe Ausdruck ist in Lovecrafts Augen - sie verblüffen mit ihrer schlichten schwarzen
Direktheit, besonders in diesem schmalen, verkniffenen und
irgendwie ewigen Neu-England-Gesicht. Harlan Ellison hat
diese Augen, trotz seiner schnellen Jive-sprechenden, aus der
Hüfte geschossenen nervösen Art der Unterhaltung (mit Harlan zu reden kann manchmal sein, als würde man mit einem
apokalyptischen Saladmaster-Vertreter sprechen, der gerade
drei große Bennies eingeworfen hat). Ab und zu macht er
eine Pause, schaut weg, sieht etwas anderes an, und dann
weiß man, daß es stimmt: Harlan ist gekrümmt, und er hat gerade um eine Ecke herum gedacht. Peter Straub, der sich makellos kleidet und stets von der Aura eines erfolgreichen Geschäftsmannes umgeben ist, hat auch diesen Ausdruck in den
Augen. Es ist ein undefinierbarer Ausdruck, aber er ist da.
»Es ist die beste elektrische Eisenbahn, die ein Junge je mals haben kann«, hat Orson Welles einmal über das Filmemachen gesagt; dasselbe kann man über das Schreiben von
Büchern und Kurzgeschichten sagen. Hier bietet sich die
Möglichkeit, diese Tunnelsehweise weit aufzubrechen, so daß
Backsteine in alle Richtungen davonfliegen und man wenigstens einen kurzen Augenblick eine Traumlandschaft der
Wunder und der Schrecken sehen kann, die so deutlich und
mit allem Zauber des ersten Riesenrads hervorsticht, das Sie
jemals als Kind gesehen haben, wie es sich vor dem Himmel
drehte. Der tote Sohn von irgend jemandem ist im Spätfilm.
Irgendwo schleicht ein böser Mann - der schwarze Mann! mit leuchtend gelben Augen durch den Schnee. Auf ihrem
Nachhauseweg laufen
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