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Dann fressen ihn die Raben

Dann fressen ihn die Raben

Titel: Dann fressen ihn die Raben
Autoren: David Meinke
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darüber?“ Als ich lediglich nickte und einen weiteren Löffel Suppe nahm, hakte sie nach:
    „Schaffen wir damit unsere Gesellschaft ab?“
    Livs Vater räusperte sich. „Also. Angenommen, ich wäre der Meinung, dass du mir auf die Zehen getreten bist. Wäre es dann nicht ziemlich gut, wenn die Justiz beurteilt, ob du es tatsächlich getan hast, und wie schlimm es wirklich ist? Schrumpft unsere demokratische Gesellschaft nicht, wenn wir die Polizei und die Justiz nicht mehr haben?“ Er lächelte. Jetzt herrschte völliges Schweigen am Tisch. Liv hatte aufgehört, die Augen zu verdrehen. Sogar der kleine, verschmuste Köter Bella starrte mich erwartungsvoll an.
    „Tja“, antwortete ich. Ich wischte mit einem Stück italienischem Brot meinen Teller sauber. Es war vollkommen still. Alle Augen waren auf mich gerichtet. Und dann folgte etwas, was Liv und Mateus normalerweise als PaNick-Reaktion bezeichneten.
    „Aber ist das denn so schlimm? Die Gesellschaft, die wir haben, funktioniert doch sowieso nicht mehr reibungslos. Die Grenzen für all das, was man normalerweise als richtig oder falsch bezeichnet, verschwimmen immer mehr, finde ich.“
    Noch immer herrschte Totenstille.
    „Also, ich meine ja nur … um die wirklich großen Dinger kümmert sich ja eh keiner. Fabriken und Autos, die das Klima zerstören, unfähige Börsenheinis, die sich mit den Rentenersparnissen anderer Leute verspekulieren und es sich selbst in SaintTropez gut gehen lassen. Politiker, die ständig an der Wahrheit vorbeireden. Die schaffen doch in Wirklichkeit unsere Gesellschaft ab!“
    „Einen Augenblick“, sagte Livs Mutter und rannte in die Küche. Der Vater folgte ihr auf den Fersen, und die Stimmung wurde etwas entspannter. Liv lächelte nur und Carl-Philip, ihr kleiner Bruder, fragte mich, was auf meinem T-Shirt stünde – einem alten Fetzen, den ich mal auf einem Slipknot -Konzert gekauft habe. Bella, der Schmuseköter, bettelte mich an.
    Und dann kam Livs Mutter wieder herein, mit einem großen Topf, der offenbar irgendeinen Eintopf enthielt, aber mit Hühnchen, und Livs Vater folgte mit einer Schale Wurzelgemüse.
    „Liv hat gerade erzählt, dass du Vegetarier bist. Wieso das denn?“, erkundigte er sich. Offensichtlich gaben sie nicht so leicht auf. Ich wusste nie genau, was ich auf diese Frage antworten sollte, aber mein Herz fing an zu pochen, als er sie stellte, denn eigentlich war das ja genau ein solches, gesellschaftliches Thema.
    „Ich finde es eklig, Tiere zu essen“, antwortete ich, und fügte schnell hinzu: „Aber das Gemüse sieht richtig lecker aus!“ Bella stellte sich auf die Hinterbeine und legte ihr Sabbermaul auf meinen Beine. Immerhin wärmte es schön.
    Dann aßen wir nahezu schweigend, abgesehen von ein paar eingeworfenen Phrasen wie „reich mir mal bitte das Salz“, „was für ein tolles Wetter“ und „ja, man sollte einen Spaziergang im Fælledpark machen“. Ich fühlte mich geschlagen. Das war typisch. Sie waren ja nett, luden mich zum Essen ein. Unterhielten sich mit einem jungen Menschen, die Staranwältin und der verdammte Richter, und dann musste ich so was Idiotisches von mir geben. Carl-Philip war der Einzige, der sich zu amüsieren schien. Und all das, all diese Scheiße kümmerte mich doch normalerweise gar nicht. Anderer Leute Eltern. Who cares? Sie brauchten mich ja nicht noch mal einzuladen.
    Aber Liv war so süß. Sie war keine heiße Braut oder scharfe Schnecke oder geile Ische. Sie war einfach süß, und deshalb schämte ich mich gerade in Grund und Boden.
    „Kommst du denn gut zurecht auf dem Gymnasium?“, fragte Livs Mutter.
    „Jaja, alles kein Problem“, antwortete ich und sah aus dem Augenwinkel, wie Liv angesichts der Frage erneut die Augen verdrehte.
    „Und weißt du schon, was du später mal machen willst?“
    „Ja … irgendwas mit … nein, eigentlich nicht.“
    „Aha. Liv sagt, du kannst gut zeichnen.“ Ich freute mir ein Loch in den Bauch, als die Mutter das sagte, spielte aber den Coolen.
    „Geht so. Vor allem auf Hauswänden“, antwortete ich.
    „Bist du sicher, dass du nicht doch probieren willst?“, fragte Vater Frederik ziemlich zaghaft.
    „Nein danke, ich glaube, ich überspringe das.“
    „Aber es ist immerhin Coq au Vin“, murmelte er enttäuscht.
    Eine SMS. Das liebliche Signal erlöste mich und rettete mir den Abend.
    SALE VON ALIS, QUIKSILVER, PSYCHO COWBOY. SEI AM 10.4. UM 9 IN DER STUDIESTRÆDE. DANN BIST DU ALS ERSTER DRAN. WIR FREUEN UNS
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