Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Damon Knights Collection 4

Damon Knights Collection 4

Titel: Damon Knights Collection 4
Autoren: Damon Knight
Vom Netzwerk:
hübsche Beine freizugeben. Sie ist jung, ihr Haar von einem tiefen, satten Kastanienbraun. Ihre Augen sind hell, aus dieser Entfernung kann ich die genaue Farbe nicht ausmachen. Sie ist einfach gekleidet, jünger als dreißig. Sie trägt einen dunkelgrünen Mantel, und ihr Lippenstift hat einen purpurfarbenen Schimmer. Ihre Lippen sind voll, die Nase ist schmal, gerade, die Augenbrauen sorgfältig gezupft.
    Ich kenne sie.
    Ich habe die letzten drei Nächte mit ihr in meinem Zimmer verbracht. Das ist sie. Besessen, so kam sie zu mir, und besessen, so schlief ich mit ihr. Dessen bin ich sicher. Der Schleier über meinem Gedächtnis hebt sich, ich sehe ihren schlanken Körper nackt auf meinem Bett.
    Wie kann es sein, daß ich mich daran erinnere?
    Es ist zu stark, um eine Illusion zu sein. Ganz offensichtlich ist es etwas, woran ich mich erinnern darf, aus Gründen, die ich nicht erfassen kann. Und ich erinnere mich an mehr. Ich erinnere mich an ihre weichen, stöhnenden Laute der Verzückung. Ich weiß, daß mich mein Körper in jenen drei Nächten nicht betrogen hat und daß ich ihr Verlangen stillen konnte.
    Und noch mehr. Eine Erinnerung an schmeichelnde Musik, ein Duft von Jugend in ihrem Haar, das Rauschen von winterlichen Bäumen. Irgendwie bringt sie eine Zeit der Unschuld zu mir zurück, eine Zeit, in der ich jung bin und die Mädchen geheimnisvoll, eine Zeit der Parties, Tänze, der Wärme und der Geheimnisse.
    Jetzt werde ich zu ihr hingezogen.
    Es gibt auch eine Etikette für solche Sachen. Es gilt als taktlos, sich jemandem zu nähern, den man getroffen hat, als man besessen war. Eine solche Gelegenheit gibt einem kein Vorrecht; ein Fremder bleibt ein Fremder, gleich was du und sie getan und gesagt haben mögen während eurer unfreiwillig gemeinsamen Zeit.
    Und doch werde ich zu ihr hingezogen.
    Warum diese Verletzung des Tabus? Warum dieser rohe Bruch der Etikette? Ich habe das niemals vorher getan. Ich war zu ängstlich.
    Aber ich erhebe mich und gehe auf der Stufe entlang, auf der ich gesessen habe, bis ich unter ihr bin, und ich schaue hinauf, und automatisch kreuzt sie ihre Beine und preßt die Knie zusammen, als ob sie sich bewußt wäre, daß ihre Haltung nicht anständig ist. Ich weiß von dieser Geste her, daß sie jetzt nicht besessen ist. Unsere Blicke begegnen sich. Ihre Augen sind graugrün. Sie ist schön, und ich durchkämme mein Gedächtnis nach weiteren Einzelheiten unserer Leidenschaft.
    Ich erklimme Stufe um Stufe, bis ich vor ihr stehe.
    »Hallo«, sage ich.
    Sie schaut mich mit einem neutralen Blick an. Sie scheint mich nicht zu erkennen. Ihre Augen sind verschleiert wie Augen oft, wenn der Passagier gerade gegangen ist. Sie schürzt ihre Lippen und schätzt mich in einer zurückhaltenden Art ab.
    »Hallo«, erwidert sie kühl. »Ich glaube nicht, daß ich Sie kenne.«
    »Nein, Sie kennen mich nicht. Aber ich habe das Gefühl, daß Sie gerade jetzt nicht allein sein wollen. Und ich weiß, daß ich das nicht will.« Ich versuche, sie mit meinen Augen zu überzeugen, daß meine Absichten anständig sind. »Es ist Schnee in der Luft«, sage ich. »Wir könnten einen wärmeren Platz finden. Ich möchte mit Ihnen sprechen.«
    »Worüber?«
    »Lassen Sie uns irgendwohin gehen, und ich werde es Ihnen sagen. Ich heiße Charles Roth.«
    »Helen Martin.«
    Sie erhebt sich. Sie hat ihre kühle, neutrale Haltung noch nicht beiseite geworfen; sie ist mißtrauisch, nicht in ihrem Element. Aber immerhin ist sie gewillt, mit mir zu gehen. Ein gutes Zeichen.
    »Ist es zu früh am Tag für einen Drink?« frage ich.
    »Ich bin nicht sicher. Ich weiß kaum, wie spät es ist.«
    »Noch Vormittag.«
    »Wir können trotzdem etwas trinken«, sagt sie, und wir lächeln beide.
    Wir gehen in eine Cocktailbar quer über die Straße. Die Gesichter zueinandergewandt sitzen wir in der Dämmerung, nippen an unseren Drinks, Daiquiri für sie, Bloody Mary für mich. Sie entspannt sich ein wenig. Ich frage mich, was ich von ihr will. Das Vergnügen ihrer Gegenwart, ja. Ihre Gegenwart im Bett? Aber das Vergnügen habe ich doch schon gehabt, drei Nächte lang, obwohl sie das nicht weiß. Ich will etwas mehr. Etwas mehr. Was?
    Ihre Augen sind blutunterlaufen. Sie hat wenig geschlafen in diesen vergangenen drei Nächten.
    Ich sage: »War es sehr unangenehm für Sie?«
    »Was?«
    »Der Passagier.«
    Sie zuckt wie unter einem Peitschenhieb zusammen. »Woher wissen Sie, daß ich einen Passagier hatte?«
    »Ich weiß
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher