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Damit Dein Leben Freiheit Atmet

Damit Dein Leben Freiheit Atmet

Titel: Damit Dein Leben Freiheit Atmet
Autoren: Anselm Gruen
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tiefstes Problem ist. Indem ich meine Gedanken und Gefühle und meine Erlebnisse vor einem aufmerksamen Zuhörer in Worte fasse, klärt sich schon für mich etwas. Und es ist Aufgabe des geistlichen Begleiters, mich in diesem Klärungsprozeß zu unterstützen. Damit ihm das gelingt, muß er selbst klar geworden sein.
    Die frühen Mönche haben vom geistlichen Begleiter
    gefordert, daß er sich erst selbst reinigt, bevor er andere begleiten möchte. Ein Schritt bei dieser Reinigung ist die Klärung der eigenen Motive. Denn in die geistliche Begleitung mischen sich unlautere Motive. Als geistlicher Begleiter bin ich in der stärkeren Position. Manche Begleiter brauchen Menschen, die sie begleiten. Ohne die Begleiteten würden sie ihre eigene Identität nicht finden. Sie benutzen andere, um ihre Bedürfnisse nach Nähe und Bestätigung auszuleben. Aus solch unklarer Begleitung kann kein Segen erwachsen. Da entstehen eher Abhängigkeit und emotionale Bindung gegenüber dem
    Begleiter. Nicht nur die Motive des Begleiters müssen klar sein, sondern auch die des Begleiteten. Manche suchen einen geistlichen Begleiter, um einen Freund zu bekommen, um jemanden auf ihre Seite zu ziehen und ihn für sich zu haben. Die emotionale Abhängigkeit, die oft in der geistlichen Begleitung zu beobachten ist, ist eine Anfrage an Begleiter und Begleitete, ob die Motive wirklich rein sind, ob man die innere Reinigung möchte oder aber nur eine Hilfe, damit man nicht alleine ist.

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    Für C. G. Jung besteht die größte Gefahr des geistlichen Begleiters darin, daß er sich mit einem archetypischen Bild identifiziert, zum Beispiel mit dem Bild des Heilers oder des Helfers. Wenn mir ein Mann erzählt, daß er schon drei Therapien hinter sich hat, die ihm nicht geholfen haben, dann springt in mir sofort der Archetyp des Helfers an: »Ich könnte ihm helfen.« Doch dann ist meine Motivation nicht mehr rein.
    Ich bin vielmehr vom Ehrgeiz gepackt und möchte dem Mann zeigen, daß ich in der geistlichen Begleitung viel wirksamer arbeite. Oder wenn eine Frau sich beklagt, daß sie niemanden hat, der sie in den Arm nimmt und sie mag, springt in mir sofort der Archetyp des Heilers an: »Ich könnte ihr die Nähe zeigen.
    Ich könnte sie in den Arm nehmen.« Doch dann würde der Archetyp des Heilers mich blind machen für meine eigenen Bedürfnisse. Ich würde meine Bedürfnisse nach Nähe unter dem Deckmantel des Heilens ausleben. Und dann kann in der Begleitung nicht wirklich Reinigung und Heilung geschehen.
    Meine Motive sind unrein. Und diese unreinen Motive trüben auch den geistlichen Prozeß bei denen, die ich begleite.
    Die Wüstenväter wußten um das Phänomen, daß man andere begleiten möchte, bevor man selbst vom Geist Jesu verwandelt worden ist. Sie fordern vom geistlichen Vater, daß er die Herzenskenntnis hat, daß er klar im anderen erkennt, worunter er leidet und was er für seinen Weg braucht. Er braucht einen klaren Blick für das Ungeklärte im ändern, für das Vermischte und Unreine. Und seine Aufgabe als Begleiter besteht darin, daß er dem Begleiteten zu mehr Klarheit verhilft. Das vermag er aber erst dann, wenn er sein eigenes Herz durchscha ut und in Berührung ist mit all dem Ungeklärten in seiner eigenen Seele.
    Gerade für den geistlichen Vater fordern die Mönche die Reinheit des Herzens, damit er ohne Vorurteile und ohne Projektionsmechanismen auf den Schüler eingeht. Für Evagrius Ponticus ist die Apatheia des geistlichen Vaters die Bedingung, daß er beim Ratsuchenden wahrnimmt, was er in seinen Worten
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    und in seinem Leib offenbart. Der geistliche Begleiter soll
    »dioratikos« sein, das heißt, er soll die Fähigkeit besitzen, durch die Worte, Gesten und Gebärden des Leibes, durch die Mimik in seinem Gesicht hindurch auf den Grund der Seele zu schauen.
    Reinigung kann schon dadurch geschehen, daß jemand über sein Leben ehrlich erzählt. Indem er sagt, was ihn bewegt, was ihn belastet, was ihn umtreibt, klärt sich etwas in seiner Seele.
    Die Aufgabe des Begleiters ist, durch seine Gegenwart und durch seine innere Klarheit den ändern dazu zu bringen, ehrlich in sich hineinzuschauen und alles, was in ihm auftaucht, auszusprechen. Es hängt vom Begleiter ab, was er im ändern hervorlockt, ob er beschwichtigt, was der Begleitete erzählt, ob er verharmlost, wenn der Begleitete sich schuldig fühlt, ob er dem Begleiteten alle Erklärungs- und Rechtfertigungsversuche abnimmt oder diesen durch sein
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