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Daddy Langbein

Daddy Langbein

Titel: Daddy Langbein
Autoren: Jean Webster
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ehemaliges Waisenkind so unverschämt ist? Ich hatte nicht den Mut zu sagen, daß ich es nicht wisse, so verfiel ich in meiner Verzweiflung auf den ersten Namen der mir kam, und das war Montgomery. Dann wollte sie wissen, ob ich zu den Massachusetts Montgomerys oder den Virginia Montgomerys gehöre.
    Ihre Mutter war eine Rutherford. Die Familie kam in der Arche Noah herüber und war durch Ehe mit Heinrich VIII. verwandt. Auf der Seite Ihres Vaters gehen sie weiter zurück als Adam. Auf den obersten Asten des Familienbaumes befindet sich eine besonders hochstehende Rasse von Affen mit sehr feinem seidigem Haar und ungewöhnlich langen Schwänzen.
    Ich wollte Ihnen heute abend einen netten, vergnügten, unterhaltsamen Brief schreiben, aber ich bin zu schläfrig —- und zu verängstigt. Das Los eines Freshman ist kein glückliches.

    Ihre im Begriff examiniert zu werdende
    Judy Abbott.

    Sonntag.

    Liebster Daddy-Langbein!

    Ich habe einige fürchterliche, fürchterliche, fürchterliche Mitteilungen zu machen. Aber ich will nicht damit anfangen. Ich will versuchen, Sie zuerst in eine gute Laune zu bringen.
    Jerusha Abbott beginnt ein Autor zu sein. Ein Gedicht mit dem Titel „Aus meinem Turm“ erscheint im „Monthly“ für Februar, — auf der ersten Seite, was für einen Freshman eine große Ehre ist. Meine Dozentin für Englisch- hielt mich gestern abend auf dem Weg von der Abendandacht an und sagte, es sei eine reizende Arbeit, abgesehen von der sechsten Zeile, die zuviel Silben -habe. Ich werde Ihnen eine Nummer schicken für den Fall, daß es Sie interessiert.
    Jetzt muß ich überlegen, ob ich noch etwas Erfreuliches weiß — o ja, ich lerne Schlittschuhlaufen und kann schon recht respektabel ganz allein umhergleiten. Außerdem habe ich gelernt, an einem Seil von der Decke der Turnhalle herunterzugleiten, und ich kann drei Fuß sechs Zoll hoch springen — und hoffe es in Kürze auf vier Fuß zu bringen.
    Wir hatten heute morgen eine sehr erhebende Predigt vom Bischof von Alabama. Sein Text war: „Richtet nicht, auf daß Ihr nicht gerichtet werdet.“ Es ging um die Notwendigkeit, die Fehler von anderen zu übersehen und die Menschen nicht durch harte Urteile zu entmutigen. Ich wollte, Sie hätten sie gehört.

    Heute ist der sonnigste, blendendste Winternachmittag, mit Eiszapfen an allen Nadelbäumen und einer Welt, die sieb unter einer Last von Schnee beugt — und nur ich bin unter einer Last der Trauer gebeugt.
    Jetzt also die Neuigkeiten — Mut, Judy! — es muß gesagt werden.
    Sie sind ganz bestimmt guter Laune? Ich bin in Mathematik und lateinischer Prosa durchgefallen. Ich nehme Nachhilfestunden und werde nächsten Monat eine neue Prüfung ablegen. Es tut mir leid, wenn Sie enttäuscht sind, aber sonst macht es mir gar nichts; denn ich habe so viel gelernt, was im Katalog nicht aufgeführt ist. Ich habe siebzehn Romane gelesen und haufenweise Gedichte — wirklich notwendige Romane wie „Vanity Fair“ und „Richard Feverel“ und „Alice im Wunderland“. Außerdem Emerson’s „Essays“ und Lockharts „Leben Walter Scotts“ und den ersten Band von Gibbons „Roman Empire“ und die Hälfte von Benvenuto Cellinis „Leben“ — war er nicht amüsant? Er pflegte auszugehen und so nebenher vor dem Frühstück einen Menschen umzubringen.
    Sie sehen also, Daddy, ich bin viel intelligenter als wenn ich mich nur an das Latein gehalten hätte. Werden Sie mir dieses eine Mal verzeihen, wenn ich verspreche, nie wieder zu versagen?

    In Sack und Asche
    Ihre
    Judy.

Lieber Daddy-Langbein!
    Dieses ist ein Extrabrief mitten im Monat, weil ich mich heute abend recht einsam fühle. Es ist furchtbar stürmisch. Der Schnee wütet gegen meinen Turm. Alle Lichter auf dem Campus sind aus; aber ich habe schwarzen Kaffee getrunken und kann nicht einschlafen.
    Ich hatte heute Sallie und Julia und Leonora zum Abendbrot eingeladen — es gab Sardinen und geröstete Krapfen und Salat und Fudge * ) und Kaffee. Julia sagte zwar, daß es schön gewesen sei, aber Sallie blieb da und half Geschirr waschen.
    Ich könnte, was sehr angebracht wäre, heute abend noch etwas Zeit ans Lateinische wenden — aber, es besteht kein Zweifel, ich bin ein sehr lässiger Latein-Studierender. Wir haben Livius beendet, und „Über das Alter“ und sind nun mit „Über die Freundschaft“ beschäftigt.
    Haben Sie etwas dagegen, nur für kurze Zeit so zu tun, als seien Sie meine Großmutter? Sallie hat eine, und Julia und Leonora je
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