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Cyberspace

Cyberspace

Titel: Cyberspace
Autoren: William Gibson
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mich nach Rikki um, fand sie in einem Cafe bei einem Knaben mit
    Sendai-Augen und halb verheilten Nähten an den lädierten Augenhöhlen. Sie hatte eine
    aufgeschlagene Hochglanzbroschüre vor sich auf dem Tisch liegen, und Tally Isham, das Girl mit den Zeiss-Ikon-Augen, lächelte aus dutzend Fotos herauf.
    Unter ihren Sachen, die ich am Abend zuvor unter meine Werkbank stopfte, war auch das kleine Simstim-Deck gewesen, das ich ihr am Tag nach unserm Kennenlernen repariert hatte. Sie hing oft stundenlang an dem Gerät mittels Kontaktband, das wie eine graue Plastiktiara auf der Stirn saß. Tally Isham war ihr Liebling, und wenn sie das Kontaktband aufsetzte, trat sie völlig weg, tauchte ein ins aufgezeichnete Sensorium dieser Simstim-Größe. Simstim. Simulierte Stimuli: die Welt, zumindest die interessanten Flecken, wie Tally Isham sie wahrnahm. Da raste Tally mit einem schwarzen Fokker Luftkissenflieger in Arizona über die Tafelberge. Da tauchte Tally im Truk Island-Reservat. Da feierte Tally mit den Superreichen auf griechischen Privatin-seln, wo die weißen Fischerdörfer so schmuck und unverfälscht waren, daß es einem schier das Herz
    brach.
    Eigentlich hatte Rikki große Ähnlichkeit mit Tally. Gleiche Haarfarbe, gleiche Gesichtsform.
    Rikkis Mund kam mir etwas voller vor. Kecker. Sie wollte nicht Tally Isham VHLQ beneidete sie aber um ihren Job. Es war ihr Ehrgeiz, ins Simstim-Geschäft einzusteigen. Von Bobby wurde sie dafür nur ausgelacht. Mit mir redete sie ab und an schon mal drüber. »Wie seh ich aus damit?«
    fragte sie und hielt sich eine ganzseitige Großaufnahme von Tally Ishams blauen Zeiss-Ikons vor die bernsteinbraunen Augen. Sie hatte ihre Hornhaut schon zweimal ummodeln lassen, hatte aber noch keine 20-20; also wollte sie Ikons. Marke der Stars. Sündhaft teuer.
    »Immer noch auf der Suche nach Augen?« fragte ich sie und setzte mich hin.
    »Tiger hat gerade welche gekriegt«, erklärte sie. Sie sah müde aus, wie mir schien.
    Tiger war so glücklich über seine neuen Sendais, daß er sich ein Lächeln nicht verkneifen konnte, aber ich möchte wetten, daß er ansonsten nicht gelächelt hätte. Er hatte die hübsche Einheitsvisage, die man nach dem siebten Gang zur chirurgischen Boutique abkriegt; vermutlich würde er für den Rest des Lebens jeweils dem neuesten Medienliebling nacheifern; freilich weder als augenfällige Kopie, noch allzu originell.
    »Sendai, gelt?« Ich lächelte zurück.
    Er nickte. Ich verfolgte, wie er mich mit dem, was er für einen Simstim-Profi-Blick hielt, musterte. Er tat so, als würde er aufzeichnen. Ich fand, daß er sich zu lange an meinem Arm aufhielt. »Bringen 'ne super Peripherie, sobald die Muskeln verheilt sind«, sagte er, und ich sah, wie vorsichtig er nach seinem doppelten Espresso griff. Sendai-Augen sind bekannt dafür, daß sie unter anderm eine schlechte Tiefenschärfe bringen und schon in der Garantiezeit Ärger machen.
    »Tiger geht morgen nach Hollywood.«
    »Und dann vielleicht nach Chiba City, ja?« Ich lächelte ihn an. Diesmal lächelte er nicht. »Hast'n Angebot, Tiger? Kennst 'nen Agenten?«
    »Schau mich nur mal um«, sagte er leise. Dann stand er auf und ging. Er sagte zu Rikki kurz ade, zu mir nicht.
    »Kann sein, daß dem Knaben im ersten halben Jahr die Sehnerven kaputtgehen. Weißt du das, Rikki? Diese Sendais sind in England, Dänemark, in vielen Ländern verboten. Nerven kann man nicht ersetzen.«
    »Eh, Jack, keine Vorträge.« Sie klaute sich ein Croissant von mir und knabberte eine der Spitzen des Hörnchens an.
    »Dachte, ich soll dich beraten, Kind.«
    »Tja, der Tiger ist nicht der Gescheitesten einer, aber das mit den Sendais weiß jeder. Er kann sich nichts Beßres leisten. Also nimmt er das Risiko in Kauf. Wenn er Arbeit kriegt, kann er sie ersetzen lassen.«
    »Durch die da?« Ich tippte auf die Zeiss-Ikon-Broschüre. »Kosten 'ne Menge, Rikki. Ein schlaues Mädchen wie du sollte nicht so leichtsinnig sein.«
    Sie nickte. »Ich will Ikons.«
    »Wenn du zu Bobby hochgehst, sag ihm, er soll nichts unternehmen, bis ich mich melde.«
    »Mach ich. Geschäft?«
    »Geschäft«, sagte ich. Aber eigentlich war es Wahnsinn.
    Ich trank meinen Kaffee, während sie meine zwei Croissants aß. Dann begleitete ich sie zu Bobby. Ich führte fünfzehn Telefonate, jeweils aus einem andern Münztelefon.
    Geschäft. Der reinste Irrsinn.
    Insgesamt brauchten wir sechs Wochen, um das Feuer anzuheizen, und in den sechs Wochen
    belaberte Bobby
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