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Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
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die Fäden spannen sich angeblich bis in die oberen Führungsetagen der Kurie. Sofort meldeten sich Zweifel bei ihm: Welchen Grund sollte ein derart einflussreicher Potentat haben, die beiden „Hamperer“ beseitigen zu lassen? Paintinger war ein alter Mann, der schon bessere Tage gesehen hatte und der Dechant? Der war nicht mehr als ein Strohmann, ein Komparse im Dienste des Diakons. Warum also sollte er für seine Marionetten einen solch, spektakulären Abgang arrangieren? Dann blieb da noch die letzte, letztendlich entscheidende Frage: Wieso hatte ihn just jetzt, gerade einmal eine Woche nach dem Ende des Einsiedlers, der Tod in Form eines Herzinfarkts ereilt? Es war absurd anzunehmen, dass er Hand an sich gelegt hatte, nur weil die Staatsanwaltschaft gegen einige seiner Leute ermittelte. Simon war sich absolut sicher, dass Niederstrasser nicht ganz freiwillig aus dem Leben geschieden war - jemand hatte beim „Heimgang“ kräftig mitgeholfen.
     
    Ein gestandenes Mannsbild sah dem Tod gefasst ins Auge und geriet auch durch den Auftritt des Boandlkramers nicht aus der Fasson. Das Sterben gehörte zum Leben wie der Henkel zum Maßkrug oder der Schmalzler in die Tabatiere. Wenn seine Zeit um war, hieß es sich in sein Schicksal zu fügen und den letzten Vorhang ohne großes Aufheben fallen zu lassen. Schließlich war der Sensenmann einer, der weder mit sich feilschen noch handeln ließ. Ein Begräbnis war hingegen der letzte, posthume Höhepunkt des Lebens. Insbesondere wenn es darum ging, einen der Großkopferten mit gebührender Grandezza unter die Erde zu bringen. Jeder der hier versammelten Laiendarsteller spielte seinen Part mit hingebungsvoller Leidenschaft und trug eine ausdrucksstarke Leidensmiene zur Schau. Die Hauptfigur jenes festlichen Schauspiels war natürlich der Pfarrer, der sowohl als Zeremonienmeister, Schamane und Maitre de Plaisir fungierte. Abt Placidus Birnbacher war quasi die Idealbesetzung. Im vollen Ornat mit Albe, Pluviale und Krummstab machte er eine gute Figur – und gab eine überzeugende, schauspielerische Vorstellung. Aus jeder Geste, jeder Gebärde sprach der Rhetoriker, jede Handbewegung war vor dem Spiegel einstudiert. Seine Worte waren aus einem Guss, pietätvoll und doch mit einem gewissen kraftvollen Pathos. Birnbacher überließ nichts dem Zufall, wusste was er seinem Ruf als mitreißender Redner schuldig war:
                „Wir haben uns heute hier versammelt, um Abschied zu nehmen, Abschied von einem großen, ja ich möchte sagen großartigen Mann und Menschen!“
                Wie kein zweiter verstand es der Abt bescheiden und doch würdevoll aufzutreten. Simon hatte Birnbacher als einen geschmeidigen, eloquenten, diplomatisch wendigen Kirchenmann kennen gelernt. Ein geistreicher Plauderer, ein schöngeistiger Verseschmied, ein profunder Kenner der Barockkunst und ein Liebhaber der klassischen Literatur. Einer der das Zeug dazu hatte, zu höheren geistlichen Aufgaben berufen zu werden. Der Tod dieses „vorbildhaften Gottesstreiters“, dieses „Musters christlicher Tugend und Geisteshaltung“ ließ ihn in seiner „Laudatio funebris“ mit Engelszungen reden:
                „Fromm handelt, wer die Toten ehrt. So lehrt uns der große griechische Tragödiendichter Sophokles. Lasst uns dem, dem Ehre gebührt, gebührend ehren. Immanuel Kant hat für den Moment des Abschiednehmens Worte von ungebrochener Strahlkraft gefunden: Wer im Gedächtnis seiner Lieben lebt, der ist nicht tot! Gedenken wir also einem besonderen, außergewöhnlichen Mann: seiner Eminenz Archidiakon Ignatius Niederstrasser. Es klingt trivial, doch um die Toten zu ehren, müssen wir a priori an die Vergangenheit denken. Denn derjenige, dessen Lebenswerk wir hier und heute würdigen wollen, ist von uns gegangen, ist uns vorausgegangen.“
                Simon suchte im Gesicht des Abts zu lesen. Sein Mienenspiel war indes kontrolliert, maskenhaft und ließ keinerlei innere Regung erkennen. Wenn ihn der „Abschied auf immer“ von seinem Mentor in irgendeiner Weise schmerzte, ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. Weiter ging es im Text. Nach der Eloge auf den Verstorbenen, folgte die Wendung hin zum Kreuzestod Jesu, um endlich in die hehren Höhen „des ewigen Lichts, des ewigen Lebens“ zu gelangen:
                „Jesus hat um unserer Sünden Willen das Kreuz genommen. Seine Auferstehung ist der Triumph des Sterblichen im Göttlichen über
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