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Coq 11

Coq 11

Titel: Coq 11
Autoren: Guillou
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einer Wahrscheinlichkeit von ungefähr fünfzig Prozent davongekommen.
    Die Welt war voller Terrorziele.
    Außerdem war die Welt voller Ziele, die bedeutend besser waren als die, die sich Problemjugendliche im Nahen Osten und mittlerweile auch in Westeuropa aussuchten. Aber die westliche Welt und vor allem diese westlichen Experten da oben in den so leicht zu treffenden Sitzungssälen, waren Meister darin, die Gefährlichkeit des Feindes zu übertreiben. Ob das auf mangelhafter Geheimdienstarbeit und Naivität beruhte oder Absicht war, ließ sich nicht genau ausmachen.
    Sie öffnete ihre Handtasche und kontrollierte zum letzten Mal Lippenstift und Lidschatten in einem Taschenspiegel mit goldenem Rahmen, dann zog sie den hellen italienischen Mantel enger zusammen und ging rasch das letzte Stück über die Brücke, umrundete das Haus und stand vor dem Diensteingang. Offensichtlich war sie am heutigen Tag die Einzige unter den Gästen, die diesen Weg wählte, denn es hatte sich keine Schlange gebildet. Auf einem Schild stand, man dürfe keine Fahrräder mit hineinnehmen, und hinter dem Panzerglas saß wieder so ein pensionierter Obergefreiter aus Her Majesty’s Reitergarde, der natürlich sofort munter wurde, als er etwas so Verdächtiges wie eine dunkelhaarige und aller Wahrscheinlichkeit nach ausländische Frau entdeckte. Er herrschte sie an, sie möge sich bitte ausweisen.
    Wortlos legte sie ihren gut gefälschten britischen Pass und die Einladung vom Chef vor. Der Obergefreite zwirbelte nachdenklich seinen Schnurrbart, während er ihre Papiere betrachtete.
    »Brigadegeneral al-Husseini, stimmt das?«, brüllte er.
    »Ja, Sir, das stimmt«, antwortete sie übertrieben leise und mit schüchtern gesenkten Lidern, ein Scherz, über den sie sich freute wie ein Kind.
    »Einen Augenblick, Madame, Verzeihung, ich meine, Brigadegeneral. Routine, Sie wissen schon«, sagte der Obergefreite und griff zum Telefonhörer.
    Drei Minuten später kamen zwei Gestalten in Nadelstreifen atemlos herunter und nahmen sie mit in die Sitzungsetage.
    Die langwierigen Sitzungen des ersten Tages enttäuschten sie ganz und gar nicht. Es waren nämlich, genau wie sie erwartet hatte, eher religiöse Zusammenkünfte als Arbeitstreffen. Abge­sehen von Kleidung, Sprache und einigen besonderen Ritualen war es ungefähr so wie bei der Hamas oder der Hisbollah. Vielleicht glich das Treffen auch eher einer Parodie auf die UNO – ein internationaler Kongress, der sich versammelt hatte, um über das Thema »Die fürchterliche terroristische Bedrohung, die unsere tägliche und unverbrüchlich loyale Zusammenarbeit erfordert« zu sprechen. Die seltsamsten Delegaten taten ihre Standpunkte kund, zum Beispiel Russen und Weißrussen, deren Verhältnis zum Terrorismus nüchtern betrachtet darin bestand, dass sie ihn energisch betrieben. Oder Schweden, Esten, Finnen, Norweger und Letten, die sich außerordentlich zu freuen schienen, dass sie an einer prestigeträchtigen internationalen Konferenz teilnehmen durften, und offenbar gar kein Interesse hatten, ihre Meinung zu sagen. Dies hier war Diplomatie und keine konkrete Aufklärungsarbeit.
    Hier ging es nur um Anwesenheit. Sie saß hinter einem palästinensischen Fähnchen, nur wenige Meter entfernt vom israeli­schen Mossad. In nichts anderem bestand ihr Auftrag. Das Treffen war lediglich eines der vielen Symptome der globalen Neuordnung, die der 11. September eingeleitet hatte und die durch den neuerlichen Terroranschlag in der vergangenen Woche in London forciert worden war.
    Sie saß die langen Sitzungen ab, ohne einzuschlafen und ohne Grimassen zu ziehen oder an den falschen Stellen zu lachen. Beim Mittagessen landete sie neben einem Russen, der sie in einem holprigen Englisch davon zu überzeugen versuchte, dass Osama bin Laden hinter dem ganzen Ärger in Tschetschenien steckte. Sie verzichtete bewusst darauf, ihm zur Hilfe zu kommen, und wechselte nicht ins Russische.
     
    Sir Evan Hunt war ein unzufriedener Chef. Bis vor kurzem war seine Karriere tadellos verlaufen, und gemäß den Plänen seiner lieben Gattin war er sogar geadelt worden. Doch anstatt Chef des gesamten Auslandsnachrichtendienstes MI6 zu werden, in den letzten Jahren durchaus Ziel seines Karriereplans, war er schräg hinaufgekickt worden. Nun war er stellvertretender Chef und Beauftragter für die internationale Zusammenarbeit. Man hatte ihm einzureden versucht, dieser Job sei in Anbetracht der Bedeutung internationaler Zusammenarbeit in
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