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Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Titel: Commissario Tron 5: Requiem am Rialto
Autoren: Nicolas Remin
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fühlte
sich heiter, festlich beschwingt und ausgesprochen
tatkräftig.

55
    Tron, unter seinem
Verband schwitzend, stand an der Stirnseite der sala und registrierte ohne
Überraschung die ersten Zeichen gesellschaftlicher
Verwilderung unter den Ballgästen. Wie üblich hatten die
Hitze im Saal, der Champagner und die Maskierung eine allgemeine
Enthemmung bewirkt, und aus langjähriger Erfahrung wusste er,
dass spätestens um zehn die Konventionen zu bröckeln
begannen. Da durften die Augen der Herren länger als
schicklich auf den Ausschnitten der Damen ruhen und ihre Hände
beim Tanz wie beiläufig unter die Hüften rutschen. Intime
Geständnisse, normalerweise mit einem indignierten Abwenden
des Kopfes beantwortet, waren dann nicht nur gestattet, sondern
willkommen. Alles dies war schließlich der Sinn der
Maskenbälle. Tron drehte den Kopf, als neben dem
Orchesterpodium ein lautstarkes Konfetti-Scharmützel
entbrannte. Drei Herren in Kniebundhosen und gepuderten
Perücken bewarfen drei junge Damen in seidenen Abendkleidern
mit Papierschnipseln und Papierschlangen. Die Damen stießen
spitze Schreie aus, während die Herren die Maskenfreiheit
benutzten, um ihnen anschließend die Schnipsel aus den
Dekolletes zu klauben. 
    Wie immer versuchte
Tron zu erraten, wer sich hinter den jeweiligen Masken verbarg. Den
Polizeipräsidenten zu identifizieren war kein Problem. Tron
wusste ja, dass Spaur als Kleopatra erscheinen würde.
Außerdem schien der Baron es geradezu darauf angelegt zu
haben, von möglichst vielen Ballgästen erkannt zu werden,
denn gleich nach seiner Ankunft hatte er an der Seite seiner Frau
eine Runde gedreht. Jetzt machte er offenbar den Versuch, Stumm von
Bordwehr von etwas zu überzeugen — ihm vielleicht einen
Tanz anzutragen. Der Oberst, leicht zu erkennen, hatte abwehrend
die Hände erhoben und schüttelte lachend den Kopf. Als
Vertreter des kaiserlichen Militärs war Stumm in einem
formellen, mit seinen roten Galons fast militärisch
wirkenden frac erschienen. Seine Maskerade hatte
sich auf eine schlichte schwarze Maske beschränkt. Er war ohne
Begleitung gekommen.
    Und Signorina
Violetta, die Baronin Spaur? Die Principessa hatte recht gehabt.
Die junge Baronin konnte es sich in der Tat leisten, in einer
Tunika aufzutreten, die mehr als nur knapp war. Kaum geschminkt,
die üppigen Haare unter einem schlichten Kriegshelm aus
bronzierter Pappe verborgen, bot sie trotzdem einen atemberaubenden
Anblick. Als Signorina Violetta in ihrer männlichen
Antonius-Verkleidung die Principessa zum Tanz aufgefordert hatte
und die beiden Damen im Dreivierteltakt über die
Tanzfläche glitten, war ein Raunen durch die Menge gegangen.
Morgen früh, wenn die große Ernüchterung eingekehrt
war, würde man die tanzenden Damen zweifellos de trop finden, aber heute
Abend überwog die Bewunderung. Zu seiner Erleichterung hatte
Tron festgestellt, dass sich seine eigene Irritation über die
Principessa in Grenzen hielt, zumal er sich selbst dem androgynen
Reiz Signorina Violettas nicht entziehen konnte.
    Ebenfalls leicht zu
identifizieren war sein Freund Alphonse de Sivry, der
Gemäldehändler von der Piazza San Marco und heute zum
ersten Mal Gast auf dem Maskenball im Palazzo Tron. Sivry war stark
geschminkt, trug eine Perücke à l'Oiseau
Royal, dazu
einen kornblumenblauen Anzug im englischen Stil. Er sprach mit
hoher Stimme, rollte die Augen wie ein ungarischer Violinzigeuner
und begleitete seine Worte mit affektierten Gebärden. Im
Grunde, dachte Tron, war Sivry heute Abend keineswegs in Maskierung
erschienen. Er hatte lediglich die Maske abgelegt, die zu tragen er
normalerweise gezwungen war.
    Aber wer war der
schwarzgekleidete Pirat, der sich in wilden Bocksprüngen durch
die Menge bewegte und jede Blondine mit einem Messer aus Pappe
bedrohte? Einer von den verrückten Priulis? Tron erinnerte
sich dunkel daran, dass einer von ihnen mal auf einem Maskenball
der Trons ein echtes Messer gezückt hatte, doch
das war lange vor seiner Geburt geschehen, noch in den Zeiten der
Republik. Jedenfalls passte der Pirat zu einem bereits leicht
torkelnden Neptun, der den Damen neckische Stöße mit
seinem ebenfalls aus Pappe angefertigten Dreizack versetzte. Ein
Mocenigo übrigens — diese Familie hatte
traditionellerweise eine Vorliebe für maritime
Verkleidungen.
    Und um wen handelte es
sich bei der Frau mit der auffällig großen Handtasche
und der blonden und etwas schief sitzenden Perücke, die sich
schüchtern durch die
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