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Commissaire-Llob 1 - Morituri

Commissaire-Llob 1 - Morituri

Titel: Commissaire-Llob 1 - Morituri
Autoren: Yasmina Khadra
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ärmliche
    Behausungen ducken, streckt der Feigenkaktus sein
    stachliges Haupt empor. Kein einziger Hirte ist zu
    sehen. Das Dorf ist verlassen. Die kleinen Leute
    sind vor den Mißhandlungen der bewaffneten isla-
    mistischen Gruppen geflohen.
    Der Hof liegt im Abstand von etwa hundert Me-
    tern hinter einem ausgemergelten Gebüsch, in dem
    nur die Grillen zirpen, der ideale Ort für eine Falle.
    Dine erwartet mich im Innenhof, er hat eine ku-
    gelsichere Weste an und ist mit einer kleinen Ma-
    schinenpistole bewaffnet. Er deutet auf eine weite-
    re Weste: „Zieh dich warm an, wenn du dir keine
    Erkältung holen willst.“
    Eine Amsel singt einsam im Unterholz. Eine Bri-
    se streicht durchs wilde Gras. Die Hitze steht über
    der Landschaft. Eine Stimmung wie im Biwak.
    „Da kommen sie!“ warnt mich Dine und entsi-
    chert seine Waffe.
    Ein Kastenwagen fährt vom Weg ab, nähert sich
    dem Weiler, umrundet das Bassin, dann das Ge-
    büsch und bleibt in etwa fünfzig Meter Entfernung
    stehen. Die Schiebetür geht auf, und heraus kom-
    men fünf bewaffnete Kerle in Tarnanzügen und mit
    Maske vorm Gesicht. Chaters Männer, die ganz in
    der Nähe im Hinterhalt liegen, lassen ihnen keine
    Zeit, sich zu verteilen.
    Eine dichte Salve mäht zwei Terroristen nieder.
    Die drei anderen versuchen völlig überrascht, sich
    ins Gebüsch zu retten. Die Salven werfen sie über
    den Haufen. Der Kastenwagen rollt zurück, rum-
    pelt über den Körper eines Verletzten, fährt einen
    Strauch um. Er wird sofort unter Beschuß genom-
    men. Sein Tank lodert auf, das Feuer greift über
    auf die Karosserie. Eine menschliche Fackel
    springt heulend heraus, wirbelt herum und ver-
    brennt auf einem Felsbuckel.
    Alles ging sehr schnell, fast wie im Traum. Die
    Stille, die darauf folgt, taucht den Hügel in eine
    andere Welt. Sprungbereit kommen Leutnant Cha-
    ter und seine Leute aus ihren Verstecken hervor
    und nähern sich dem Schlachtfeld.
    Mit zerfetzter Brust liegt eines der Ungeheuer rö-
    chelnd im Gras. Seine blutverschmierte Hand tastet
    vergeblich nach der Kalaschnik heben ihm. Dine
    stößt die Waffe mit dem Fuß weg, beugt sich über
    den Verletzten und reißt ihm die Maske herunter:
    Es ist der Albino von Ghoul Malek.

    21

    Ich blicke auf Algier, und Algier blickt aufs Meer.
    Diese Stadt hat keine Gefühle mehr. Sie ist, soweit
    das Auge reicht, pure Ernüchterung. Ihre Symbole
    haben ausgedient. Ihre Geschichte beugt das Rück-
    grat, und ihre Denkmäler ducken sich unter dem
    Zwang zum Verzicht.
    Algier ist besessen von fixen Ideen. Seine Sänger
    sind verstummt. Wo immer ihre Muse sie küßt,
    erleben sie, daß sie geknebelt wird. Erst wird ihnen
    die Flöte entrissen, dann die Feder geraubt, sie
    bleiben mit doppelt leeren Händen zurück und wis-
    sen nicht, wie den Puls der Erde fühlen, wie sie es
    einstmals taten, als wir alle Hexenmeister und Ru-
    tengänger waren.
    Algier ist krank. Seine Träume werden abgetrie-
    ben wie mißgebildete Embryonen.
    Algier ist ein Sterbehaus, Gott ein Tranquilizer,
    und keiner glaubt mehr, daß Glück eine Frage der
    inneren Einstellung ist.
    Algier ist eine Wanderbühne, auf der nur Tragö-
    dien zur Aufführung kommen. Der heraufziehende
    Morgen wird zagende Geister so wenig verschonen
    wie Schakale einen angeschlagenen Artgenossen.
    Ich parke meinen Zastava oberhalb von Notre-
    Dame. Weit in der Ferne, jenseits des Hafens, in
    dem die Kräne auf Halbmast stehen, erhebt sich
    das Monument der Märtyrer selbstvergessen auf
    seinem Hügel wie ein großer zurückgebliebener
    Junge. Die Kasbah blickt drein wie vom Meineid
    gepeinigt, sie ähnelt dem Skelett einer Heuschre-
    cke, in dem die Ameisen turnen. Wie sich die Zei-
    ten geändert haben.
    Früher einmal war die Kasbah nicht gar so un-
    glücklich. Sie war von einem starken Glauben be-
    seelt. Sie war stolz auf ihre Handwerker, ihre
    Schuhmacher und die Chechia ihrer Ladenbesitzer.
    Vor allem aber verstand sie es, ihre Freude zu tei-
    len und ihren Schmerz für sich zu behalten. Hier
    lebte Dahmane der Tätowierer, der auf die Brust
    der Zuhälter und die Arme der Matrosen die er-
    staunlichsten Gemälde zauberte. Roukaya die Hei-
    lerin wohnte hier, eine hundertjährige Blinde, die
    durch eine flüchtige Berührung mit ihrem Finger
    die schlimmsten Brüche wieder zusammenfügte.
    Und Alilou „Domino“, der in seinem Lieblings-
    spiel die zahllosen Rivalen mit Leichtigkeit abzu-
    hängen pflegte, dieser verflixte Alilou, den
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