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Colorado Kid

Colorado Kid

Titel: Colorado Kid
Autoren: Stephen King
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höchstens sechs, doch dann besann sie sich eines Besseren. An jenem Tag waren am Ufer des Tashmore Lake tatsächlich sechs Menschen ums Leben gekommen, doch es war nur eine große Giftmenge gewesen, die, wie Stephanie annahm, vom Täter in den Eiskaffee gerührt worden war. Sie wusste nicht, wie viele Lichter an der Küste zu sehen gewesen waren, ging aber davon aus, dass man sie als Gesamtphänomen betrachtete.
    »Eins?«, fragte sie zögernd. Sie kam sich vor wie ein Kandidat in der letzten Runde von Jeopardy. »Eine unbekannte Tatsache pro Geschichte?«
    Vince richtete den Finger wie eine Pistole auf sie, grinste breiter denn je zuvor, und Stephanie atmete erleichtert auf. Sicher war dies kein richtiger Unterricht, und die beiden Männer würden sie genauso gern mögen, wenn sie eine Antwort verpatzte, dennoch wollte sie sie unbedingt zufrieden stellen. Das hatte sie sonst nur bei ihren allerbesten Lehrern an der High School und am College gewollt. Bei den leidenschaftlichen, mitreißenden Lehrern.
    »Außerdem müssen die Leute im Grunde ihres Herzens überzeugt sein, dass sich die Geschichte auf eine bestimmte Weise zugetragen hat. Daran müssen sie wirklich tief und fest glauben«, ergänzte Dave. »Zum Beispiel die Pretty Lisa, die 1926 an den Felsen südlich von Dingle Nook auf Smack Island angeschwemmt wurde.«
    »1927«, korrigierte Vince.
    »Na gut, dann halt ’27, du Klugschwätzer, aber Teodore Riponeaux war noch an Bord, nur leider mausetot, und die anderen fünf waren verschwunden. Und obwohl es keine Blutspuren oder Anzeichen eines Kampfes gab, sind die Leute überzeugt, dass es Piraten waren. Man erzählt sich sogar, die Besatzung hätte eine Schatzkarte an Bord gehabt und vergrabenes Gold gefunden, aber der Schatz sei bewacht gewesen, sie hätten ihn nicht bekommen und so weiter und so fort.«
    »Oder sie wären sich untereinander in die Haare geraten«, ergänzte Vince. »Das gehörte schon immer zu den beliebtesten Theorien über das Schicksal der Pretty Lisa. So ist es halt – manche Geschichten wollen erzählt und gehört werden. Hanratty war klug genug zu wissen, dass sein Redakteur diesen aufgewärmten Brei nicht annehmen würde.«
    »Vielleicht in zehn Jahren noch mal«, vermutete Dave.
    »Irgendwann ist alles Alte wieder neu. Das glaubst du vielleicht nicht, Steffi, aber es stimmt.«
    »Doch, das glaube ich gerne«, sagte sie und dachte: Dieses Lied mit der Fähre, Tea for the Tillerman, von wem war das noch mal? Von Al Stewart oder Cat Stevens?
    »Dann die Sache mit den Küstenlichtern«, fuhr Vince fort.
    »Ich kann dir genau sagen, warum die Geschichte immer so beliebt war. Es existiert ein Foto. Es steckte wohl nichts anderes dahinter als die Lichter von Ellsworth, die von den niedrigen Wolken reflektiert wurden. So entstanden Kreise, die wie fliegende Untertassen aussahen. Jedenfalls steht unten im Bild die gesamte Kinderbaseballmannschaft von Hancock Lumber im Trikot und schaut in die Wolken.«
    »Und ein kleiner Junge zeigt mit seinem Handschuh nach oben«, ergänzte Dave. »Das ist das i-Tüpfelchen. Die Leute betrachten das Foto und sagen sich: ›Mensch, das sind bestimmt Besucher aus dem Weltall, die sich mal kurz die berühmteste Freizeitbeschäftigung Amerikas ansehen wollen.‹ Dennoch: Es ist ein einzelnes unbekanntes Phänomen, bloß mit spektakulären Bildern, deshalb interessieren sich die Leute immer wieder dafür.«
    »Nur nicht der Boston Globe «, warf Vince ein, »auch wenn ich vermute, dass er im Notfall drauf zurückgreifen würde.«
    Die beiden Männer lachten so entspannt, wie es nur alte Freunde tun.
    »Also«, sagte Vince, »vielleicht kennen wir tatsächlich ein ungelöstes Rätsel …«
    »Das ist leicht untertrieben«, sagte Dave. »Wir kennen mindestens eins, mein Mädchen, bloß haben wir nicht die geringste Ahnung, was damals passiert ist …«
    »Eventuell das Steak«, warf Vince ein, klang aber nicht sehr überzeugt.
    »Oh, ah jo, aber das ist ja selbst schon ein Rätsel, meinst du nicht?«, gab Dave zurück.
    »Doch«, stimmte Vince zu, ziemlich zerknirscht. Er sah auch so aus.
    »Ich komme nicht mehr mit«, gestand Stephanie.
    »Ah jo, die Geschichte von Colorado Kid ist ziemlich verwirrend, das stimmt«, bestätigte Vince, »weshalb sie auch nichts für den Globe ist, würde ich sagen. Zuerst mal zu viele Unbekannte. Außerdem nichts, wo man mit Sicherheit sagen könnte: So ist es gewesen.«
    Er beugte sich vor und fixierte Stephanie mit seinem
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