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Codename Hélène

Codename Hélène

Titel: Codename Hélène
Autoren: Michael Juergs
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Concierge unten im Haus benutzen, mit der sie sich anfreundete. Als sie vor ihrer Heirat 1939 die geliebte Wohnung aufgab und damit ihr bisheriges leichtfüßiges Leben zu Ende war, weinten beide beim Abschied und versprachen, sich regelmäßig zu schreiben. Erst nach dem Krieg erfuhr Nancy Wake, dass die Concierge von der Rue Sainte-Anne ausgerechnet bei einem Bombenangriff der Alliierten auf eine von Deutschen besetzte Stadt ums Leben gekommen war, weil sie inzwischen aus Paris in die Provinz gezogen war und die Explosion auch ihr Haus zerstört hatte.
    Die insgesamt knapp sechs Jahre, die Nancy Wake in Paris verbrachte, waren bestimmt einerseits von der Notwendigkeit, genügend Geld zu verdienen für die halbjährliche Miete und die im Alltag anfallenden Kosten für Lebensmittel, Kleidung, Kosmetik. Andererseits vom Wunsch, möglichst viel davon hautnah mitzubekommen, was die Stadt der Liebe so unwiderstehlich machte. »Ich war«, bekannte sie in ihrer Autobiografie, ohne näher darauf einzugehen, »eine Art von Playgirl«, und überließ, was konkret damit gemeint sein könnte, der Fantasie des Lesers. Ähnlich vage beschrieb sie, was sie wo oder mit wem eigentlich erlebt hatte, bevor sie, aufgebrochen 1932 im fernen Australien, in Frankreich gelandet war. Verriet nur so viel, dass Städte wie New York, London und vor allem eben Paris schon als Kind in Sydney ihr Fernweh geweckt und ihre Träume beflügelt hatten.
    Herkunft und Lebenslauf lassen sich anhand ihrer Personalakte nachvollziehen, die in The National Archives in London ruht. Was sie im – damals für alle künftigen Agenten obligatorischen – history sheet angab, als sie ein britischer Geheimdienst-Gentleman rekrutierte, musste schon deshalb stimmen, weil sie wusste, dass alle Angaben überprüft werden konnten. Falls sie bei einer Lüge ertappt würde, wäre eine Karriere im Dienste Seiner Majestät beendet gewesen, bevor sie begonnen hätte. Also blieb sie bei der Wahrheit.
    Als Nancy Grace Augusta Wake am 30 . August 1912 in Wellington, Neuseeland, zur Welt kam, gehörte die frühere Kolonie noch zum Vereinigten Königreich. Nancy war deshalb qua Geburt britische Staatsangehörige. Ihr Vater Charles Augustus Wake arbeitete mal als Anwalt, mal als Reporter eines Wochenblattes, mal gar nicht. Ihre Mutter Ella kümmerte sich um Haushalt und Familie. Nancy war ihr jüngstes Kind. Die beiden Brüder und die beiden Schwestern hießen Stanley und Charles, Gladys und Ruby. In allen Nachrufen auf sie ist die Rede von fünf Geschwistern, aber in ihrem Lebenslauf sind nur diese vier erwähnt und auch, dass ihr ältester Bruder Stanley im Ersten Weltkrieg auf der Seite Englands kämpfte und verwundet wurde.
    Im Frühjahr 1914 wanderte die Familie aus nach Australien. Anfangs lebten sie in Sydney in einem großen Haus. Als der Vater nicht mehr von einer Reise zurückkehrte und sich fortan nicht mehr darum kümmerte, wie die Zurückgelassenen ohne sein Einkommen zurechtkamen, musste Ella Wake in eine kleine Wohnung ziehen und die Familie alleine durchbringen. Sie lebten ab dann immer am Rande der Armut. Deshalb machte es Nancy Wake später, egal, ob in London oder in Paris, auch nichts aus, mit wenig auskommen zu müssen. Schon als Kind war sie oft auf sich selbst gestellt und allein. Die beiden Schwestern hatten andere Interessen als die Kleine und zogen außerdem so bald wie möglich zu Hause aus, um zu heiraten.
    Früh aber hatte das Kind bestimmte Vorstellungen vom Leben, die so gar nicht passten zu den streng religiösen seiner Mutter oder zu deren Ansichten, welche Rolle für eine Frau in der Gesellschaft angemessen war und welche nicht. Auf die Idee, dass es zwischen Mann und Frau Gleichberechtigung geben muss, wäre sie nie gekommen. So etwas passte nicht in ihr Weltbild. Nancy sah das schon früh anders. Sie riss als Teenager zweimal aus, galt als schwer erziehbar und rebellisch, bewunderte insgeheim den fernen Vater, der die Familie verlassen hatte. Die Mutter, die arbeiten musste, weil er sich nie mehr hatte blicken lassen, nannte ihn einen Bastard. Darin immerhin stimmte ihr Nancy zu.
    Aber bei ihr bekam »Bastard« einen leicht wehmütigen, fast sehnsüchtigen Ton. Klang nach ungebundenen, freien Straßenkötern. Die haben es zwar schwerer im Leben, weil sie selten gefüttert und getätschelt werden, aber sie hängen an keiner Leine, niemand kann sie dahin ziehen, wohin sie nicht freiwillig gehen wollen. So eine Art von Straßenköter im besten
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