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Chroniken der Schattenjäger 1 - Clockwork Angel

Chroniken der Schattenjäger 1 - Clockwork Angel

Titel: Chroniken der Schattenjäger 1 - Clockwork Angel
Autoren: Cassandra Clare
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ich dich jetzt: Bist du einverstanden, Tessa? Wirst du bleiben?«
    Tessa stürmte die Stufen zum Speicher hinauf. Zum ersten Mal seit einer halben Ewigkeit war ihr fast leicht ums Herz. Der Dachboden sah noch genau so aus, wie sie ihn in Erinnerung hatte, und durch die hohen schmalen Fenster fielen die letzten Strahlen der untergehenden Sonne.
    Bis zum Einbruch der Dämmerung würde es nicht mehr lange dauern. Auf dem Fußboden lag ein umgestoßener Metallkübel, dem Tessa geschickt auswich, während sie zu der schmalen Stiege eilte, die aufs Dach hinaufführte.
    »Wenn ihn etwas aufgewühlt hat, findet man ihn in der Regel dort oben«, hatte Charlotte gesagt. »Und ich habe Will selten so aufgewühlt erlebt. Der Tod von Thomas und Agatha hat ihn offenbar stärker mitgenommen, als ich gedacht hätte.«
    Die Stiege endete in einer quadratischen Klapptür mit seitlichem Scharnier. Tessa stieß sie mit Schwung auf und kletterte hinaus auf das Dach des Instituts.
    Langsam richtete sie sich auf und schaute sich um. Sie stand in der Mitte eines breiten Flachdachs, das von einem hüfthohen schmiedeeisernen Geländer eingefasst war. Die Gitterstäbe des Geländers endeten in scharfen Spitzen, die an die fleur-de-lis, die französische Wappenlilie, erinnerten. Will lehnte am hinteren Ende des Dachs am Geländer. Er drehte sich nicht um - nicht einmal, als die Klapptür hinter Tessa mit einem Knall zufiel. Zögernd ging sie einen Schritt auf ihn zu und streifte ihre zerkratzten Hände am weichen Gewebe ihres Kleids ab. »Will«, sagte sie leise.
    Doch er reagierte nicht. Hinter ihm ging die Sonne in einem purpurroten Feuerball unter und am anderen Themseufer stießen hohe Fabrikschornsteine dicke Rauchwolken aus, die sich wie dunkle Finger über den roten Himmel ausbreiteten. Will lehnte schwer gegen das Geländer, als beabsichtigte er, sich nach vorn auf die speerartigen Gitterspitzen zu stürzen und seinem Leben ein Ende zu bereiten. Er schien Tessa nicht zu hören, die sich ihm nun vorsichtig näherte und neben ihm am Geländer stehen blieb. Von hier aus fiel das Dach steil ab und bot einen schwindelerregenden Blick auf das Kopfsteinpflaster im Innenhof des Instituts.
    »Will«, sagte Tessa erneut. »Was machst du hier?«
    Doch Will schaute sie noch immer nicht an. Er starrte hinaus über die Dächer der Stadt - eine schwarze Silhouette vor dem rötlichen Himmel. In der schmutzigen Luft zeichnete sich verschwommen die Kuppel der St. Paul's Cathedral ab und tief unter ihr strömte die Themse wie ein breites Band aus dunklem, kräftigem Tee, das hier und dort von den schwarzen Konturen der Flussbrücken eingefasst wurde. Am Ufersaum wimmelten ein paar kleine Gestalten - Gassenjungen, die den an Land gespülten Unrat durchkämmten, auf der Suche nach Verwertbarem.
    »Ich entsinne mich jetzt wieder«, sagte Will unvermittelt, den Blick noch ins Weite gerichtet. »Ich weiß jetzt, woran ich mich letztens zu erinnern versucht habe. Es war eine Zeile aus einem Gedicht von Blake. ›Und ich erblicke London, ein menschliches, Furcht einflößendes Wunder Gottes.‹« Nachdenklich starrte er auf das Häusermeer hinab. »Milton vertrat die Ansicht, die Hölle wäre eine Stadt. Aber meines Erachtens lag er damit nur teilweise richtig: Vielleicht ist London ja bloß der Eingang zur Hölle und wir sind die verdammten Seelen, die sich weigern, das Tor zu durchschreiten - aus Angst, dass wir auf der anderen Seite etwas vorfinden werden, das noch viel schlimmer ist als die Schrecken, die wir bereits kennen.«
    »Will, was hast du?«, fragte Tessa bestürzt. »Was ist los?«
    Der junge Schattenjäger umklammerte das Geländer mit beiden Händen, bis seine Fingerknöchel weiß hervortraten. Seine Haut war übersät mit Schnittwunden und Kratzern und seine Knöchel wirkten rau und aufgeplatzt. Auch sein Gesicht zeigte noch Kampfspuren: Dunkle Blutergüsse reihten sich vom Kiefer bis hinauf zu den Wangenknochen und seine Unterlippe war geplatzt und geschwollen. Aber er hatte nicht den geringsten Versuch unternommen, seine Wunden mit einer Iratze zu heilen - was Tessa überhaupt nicht verstehen konnte.
    »Ich hätte es wissen müssen«, fuhr Will fort. »Ich hätte wissen müssen, dass es nur ein Trick war. Dass Mortmain gelogen hat, als er uns hier aufsuchte. Charlotte rühmt so oft meine taktischen Fähigkeiten, aber ein guter Taktiker hätte niemals blindlings vertraut. Ich war ein Narr.«
    »Charlotte glaubt, dass das Ganze ihre Schuld ist.
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