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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim
Autoren: Kathrin Lange
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ihr Übelkeit, aber das ließ sie Dagmar nicht wissen.
    Die war ohnehin mehr mit sich selbst beschäftigt.
    »Was ist, wenn er sich über mich beschwert?« Sie ließ die Hände sinken und seufzte. Ihre Bluse war an der Schulter zerrissen und entblößte eine weiße, knochige Schulter. Dagmar griff nach dem zerfetzten Stoff und zog ihn über die nackte Haut. Die Geste ließ sie schutzbedürftig aussehen. Maria spürte, wie sie Mitleid bekam. Sie hatte häufig Mitleid mit Dagmar, schon seit sie beide Kinder gewesen waren, war das so.
    Höhnisch schnaubte sie und ignorierte den dumpfen Schmerz, den ihre Nase dabei aussandte. »Bei wem sollte er das tun? Bei Niklas? Der war viel zu sehr mit Agnes beschäftigt, als dass er mitbekommen hat, was passiert ist.«
    Niklas war der Wirt des Gasthauses und in seinem Viertel bekannt dafür, dass er die Dienste der Huren, die bei ihm verkehrten, gern und ausgiebig selbst in Anspruch nahm.
    Dagmar zog die Bluse fester um ihre Schultern. »Trotzdem! Die Jacke sah teuer aus. Was, wenn ich sie mit dem Wein ruiniert habe?« Sie hatte dem Mann in der Gaststube einen halben Becher Rotwein ins Gesicht gekippt, weil er allzu zudringlich geworden war und ihr dabei die Bluse zerrissen hatte. In dem darauffolgenden Gerangel hatte der Mann, mehr aus Versehen als mit Absicht, Maria eines auf die Nase gegeben.
    »Es war dein Recht, dich zur Wehr zu setzen«, sagte Maria. »Er hätte dich nicht so hart anfassen dürfen.«
    Dagmar seufzte. »Er hat mich wie eine Hure behandelt«, murmelte sie, und fast hätte Maria trocken erwidert: Du bist eine Hure. Gerade noch rechtzeitig biss sie die Zähne zusammen. Sie hielt besser ihre lockere Zunge im Zaum, wenn sie Dagmar nicht noch mehr durcheinanderbringen wollte. Die Ärmste hatte schon genug Sorgen, da konnte sie die spöttischen Sprüche ihrer besten Freundin nicht gebrauchen.
    Maria unterdrückte ein Seufzen. Sie griff an ihre Nase, drückte sie vorsichtig, um zu prüfen, ob sie gebrochen war. Zu ihrer Erleichterung schien das nicht der Fall zu sein, aber sie würde sich wahrscheinlich morgen die Schminke etwas dicker auftragen müssen, um die Rötung zu verdecken. »Was gedenkst du eigentlich wegen deines ... Problems zu tun?«, fragte sie gerade heraus und deutete dabei auf Dagmars flachen Unterleib.
    Dagmars Hand legte sich auf die bezeichnete Stelle. Das war kein gutes Zeichen!
    »Du musst Sibilla Bescheid sagen!«, mahnte Maria. »Sonst ist es bald zu spät dazu.«
    Dagmar rieb sich mit einer müden Geste über die Augen. »Zu spät dazu«, wiederholte sie. »Wie das klingt!«
    »Es klingt wie die harte Wirklichkeit, Herzchen!« Maria unterdrückte den Wunsch, Dagmar zu packen und kräftig durchzuschütteln. »Du bist eine Hübschlerin. Du bist schwanger von irgendeinem Freier. Und du musst langsam etwas dagegen tun, sonst ...« Sie unterbrach sich.
    Dagmar schaute ihr ins Gesicht. »Sonst was?«
    Bilder geisterten durch Marias Kopf. Bilder von Dagmar mit einem Balg auf dem Arm, die sich auf dem Hauptmarkt in die Reihe der Bettler einfügte und um einen harten Brotkanten flehte. Bilder von dem schreienden Kind auf ihrem Arm, das vor lauter Hunger schon völlig kraftlos war. Sie hob Dagmar beide Hände entgegen. »Das weißt du genau!« Tief holte sie Luft, ignorierte ihre schmerzende Nase, dann fügte sie hinzu: »Denk doch mal nach! Ein Kind, Dagmar! Es bedeutet, dass du deinen Beruf nicht mehr ausübenkannst. Jedenfalls für eine ganze Weile nicht. Du wirst betteln gehen müssen!«
    Langsam schüttelte Dagmar den Kopf. Es sah aus, als wehre sie sich gegen die Vorstellung. »Ich könnte trotzdem ...«
    Bitter lachte Maria auf. »Trotzdem? Mit einem vor Milch tropfenden Busen? Was glaubst du, werden deine Freier sagen, hm? Nein, Dagmar, die Kerle bist du schneller los, als du blinzeln kannst, glaub mir! Eine Hure und ein Kind, das ist einfach unmöglich!«
    Dagmar senkte den Kopf und schwieg einen Moment. Als sie wieder aufsah, lächelte sie. Es war ein stilles Lächeln, eines, das Maria zeigte, dass sie eigentlich mit sich und ihrer Lage im Reinen war. »Es gibt noch einen anderen Weg«, flüsterte sie.
    Maria versuchte, einen Blick auf ihr Gesicht zu erhaschen, aber Dagmar wich ihr erfolgreich aus. »Was für einen anderen Weg?«
    »Ich werde in ein Kloster gehen.«
    Erneut lachte Maria, aber jetzt klang es ungläubig. »Ein Kloster? Bist du völlig von Sinnen?« Das Wort »Kloster« rührte an einer uralten Erinnerung in ihr. Sie versuchte,
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