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CHAMSA - 5 Tage bis zur Ewigkeit (German Edition)

CHAMSA - 5 Tage bis zur Ewigkeit (German Edition)

Titel: CHAMSA - 5 Tage bis zur Ewigkeit (German Edition)
Autoren: Bianca Balcaen
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lag, die keck in alle Richtungen abstanden und zu ihrem quirligen Charakter wie
die Faust aufs Auge passten. Rechts neben ihr stand David, der sie um fast zwei
Köpfe überragte und mit einer Engelsgeduld ihrem unermüdlichen Redefluss
zuhörte. Ihn konnte selten etwas aus der Ruhe bringen, und wenn, dann sah man es
ihm nicht an.
    Etwas abseits an der
Schulmauer lehnte der stille, schlaksige und in sich gekehrte Joshua, wie immer
ganz in Schwarz gekleidet. Der Wind spielte sanft mit seinen dunklen
Schläfenlocken und ein verträumter Ausdruck lag auf seinem blassen Gesicht. Ihn
mochte Hannah von ihren Freunden am meisten. Sie liebte es, wenn er mit seiner
leisen melodischen Stimme alte Geschichten aus der Thora erzählte. Er war ein
bisschen schüchtern, genauso wie sie selbst, und in vielen Dingen waren sie der
gleichen Meinung; im Gegensatz zu Leo, der sich in diesen Moment zu Joshua
vorbeugte und mit grimmiger Miene auf ihn einredete. Stirnrunzelnd beobachtete
Hannah die Szene, bereit, Joshua sofort zu Hilfe zu eilen, wenn es nötig wäre.
    Bis vor Kurzem war Leo
ein sympathischer und lustiger Junge gewesen. 1.80 m groß, braungebrannt mit
blonden, zurückgekämmten Haaren und blauen Augen. Eben der klassische
Beachboy-Typ; oberflächlich, aber nett. Seine Idee war es auch gewesen, sich
jeden Abend auf dem Schulcampus zu ihrem einstündigen Training zu treffen. Sein
persönliches Ziel war die Aufnahme in die berühmte Basketballmannschaft Maccabi
Tel Aviv. Der Verein hatte schon zweimal die Europameisterschaft gewonnen und
Leo wollte unbedingt in dieses Team kommen.
    Doch seit etwa einen
halben Jahr hatte Leo sich auf unerklärliche Weise verändert. Jetzt zeigte er
auf einmal eine gefühllose Kälte, legte einen mehr als morbiden Humor an den Tag
und versuchte ständig, sich in den Vordergrund zu spielen. Außerdem machte er in
letzter Zeit immer häufiger abfällige Bemerkungen über die andere Welt jenseits
des Zaunes, die er schon bald vernichten würde.
    Immer, wenn er diese
mysteriösen Aussagen machte, beobachtete Hannah, wie sich seine hellblauen Augen
zu aggressiven Schlitzen zusammenzogen und ein grausames Lachen sein Gesicht zu
einer hässlichen Fratze entstellte. Es schien, als ob etwas, das bis jetzt tief
in seinem Inneren geschlummert hatte, plötzlich erwacht war und sich nun immer
häufiger einen Weg an die Oberfläche bahnte. Seit Kurzem stellte er ihr auch
nach und meldete Besitzansprüche auf sie an, was Hannah noch viel mehr
verschreckte.
    »Erde an Mars! Hörst du
mir überhaupt noch zu?« Judiths Stimme holte Hannah wieder in die Gegenwart
zurück.
    »Sorry, was hast du
gesagt?«
    »Ich fragte dich, was
wir hier denn schon für eine Zukunft zu erwarten haben? Sderot hat durch die
vielen Raketenangriffe die traurige Berühmtheit erlangt, seit Neuestem als
einzige Stadt im Besitz eines ultramodernen, neuentwickelten Frühwarnradars zu
sein.«
    Frustriert schnaufte
sie durch die Nase, bevor sie fortfuhr: »Der Schuldirektor hat gestern erzählt,
dass es nur in achtzig Prozent der Fälle funktioniert.«
    »Es gibt uns zumindest
etwas mehr Sicherheit, finde ich.«
    »Das ist doch grotesk,
Hannah! Vom Ertönen der Sirene bis zum Einschlag der Rakete bleiben uns nur
fünfzehn Sekunden, um uns in Sicherheit zu bringen. Selbst wenn ich meine
heißgeliebten Pumps wegkicke – was mir nebenbei bemerkt sehr wehtun würde –
schaffen wir es nicht rechtzeitig in die blauen Schutzräume.«
    Hannah runzelte kaum
merklich die Stirn, sie kannte die Realität genausogut wie ihre Freundin.
    »Oh, verdammt.« Judith
schüttelte den Kopf und starrte wütend auf den Grenzzaun. »Ich will hier weg,
ich habe es so satt, mit dieser ständigen, verfluchten Angst zu leben. Hier wird
sich niemals etwas ändern. Jedenfalls nicht, so lange diese elenden Bastarde aus
der anderen Welt uns bedrohen.«
    »Hör auf, Leos
gehirnloses Geschwätz nachzuplappern«, schalt Hannah sie in sanftem Ton. »Wir
müssen einfach lernen, miteinander zu leben. Weglaufen ist auch keine
Alternative.«

 

     
    Niemandsland
     
    D ie letzte
Unterrichtsstunde zog sich wie Knetgummi dahin. Rabbi Jochanans Physikformeln,
die er mit seiner enthusiastischen Stimme durchs Klassenzimmer schmetterte, als
wären sie ein Liebesgedicht, waren ebenso interessant wie ein träge
dahinfließender Strom Regenwasser. Trotzdem notierte Hannah die Zahlen und
Formeln tapfer in ihr Heft und kämpfte so
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