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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne
Autoren: Orhan Pamuk
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ist tot!« dachte Ahmet. Am
liebsten hätte er zu der Krankenschwester etwas Aufmunterndes gesagt.
    Die Krankenschwester stand auf und
wischte sich den Schweiß ab. »Emine, sagen Sie unten Bescheid!«
    »Was soll ich sagen?« fragte Emine
aufgeregt.
    »Dass sie tot ist!«
    »Ach, die gnädige Frau!« wimmerte
Emine. Achtsam wie immer schlich sie an den Möbeln entlang hinaus.
    Die Krankenschwester sah Ahmet an.
Aus Angst, sie würde nun gleich damit anfangen, wie es mit ihr weitergehen
solle, wandte Ahmet sich Nigân zu, denn nur an sie wollte er jetzt denken. Er
sah ihr aufmerksam ins Gesicht. Er erinnerte sich, wie er als kleiner Junge mit
seinem Vater von Cihangir hierhergekommen war; wie seine Großmutter immer jedem
gezeigt hatte, wie schmutzig seine nackten Knie waren; wie sie mit ihren
Pantoffeln geschlurft war und ihren Schlüsselbund hatte klirren lassen; wie sie
an Festtagen immer ein wenig aufgeblüht war und wie sie oft auf das Foto
Cevdets gedeutet hatte, das ihm stets ein wenig Furcht einflößte. Irgendwann
merkte er beschämt, dass seine Gedanken zu seinem Vater, seiner eigenen
Kindheit, seinem Leben und dem Tod im allgemeinen abdrifteten. Ihm wurde erst
so richtig bewusst, dass er da eine Tote ansah, und so wandte er sich ab und
ging zum Fenster. Wie als kleiner Junge lehnte er die Stirn an das Glas und sah
auf den Platz hinab.
    Bald darauf kamen Osman und Nermin.
Osman rückte sich sofort einen Stuhl ans Bett und setzte sich zu seiner Mutter.
Nermin murmelte etwas. Osman fragte die Krankenschwester, warum er nicht früher
benachrichtigt worden sei. Sie entgegnete, es sei alles so schnell gegangen,
und obwohl sie der Kranken nicht von der Seite gewichen sei, habe sie die
Verlangsamung des Pulses zunächst nicht bemerkt. Danach habe sie getan, was in
ihrer Macht gestanden habe, aber auch eine Brustmassage sei umsonst gewesen.
Sie führte mit einer vagen Bewegung Ahmet als Zeugen an.
    »Man hätte mir trotzdem Bescheid sagen
sollen!« grummelte Osman. »Wo ist denn Yılmaz?«
    »Der hat doch heute Ausgang!« sagte
Nermin.
    Ayşe kam herein und ging zum
Bett ihrer Mutter. Sie sah die anderen an, dann begann sie zu weinen.
    Ahmet fiel wieder ein, warum er überhaupt
gekommen war. Er nahm die Bücher und Hefte wieder an sich und ging in den
Korridor. Als er im Zimmer seines Vaters war, schloss er die Tür hinter sich.
Irgendwie schuldbewusst stellte er die Bücher und Hefte wieder an ihren Platz
zurück. Unentschlossen ließ er sich dann auf einen Stuhl fallen und starrte die
Bücherreihen an, als würde er zu einem Fenster hinaussehen.
    Da ging die Tür auf, und die
Krankenschwester trat ein. Sie stutzte, als sie Ahmet sah. »Ach, hier sind
Sie?«
    »Ich wollte gerade wieder gehen«,
sagte Ahmet. Er stand auf und ging zur Tür.
    »Ich würde gerne heute abend noch
nach Hause kommen«, sagte die Krankenschwester.
    »Natürlich!«
    Zaghaft setzte sie hinzu: »Meinen
Sie, jemand könnte mich nach Lâleli bringen?«
    »Cemil bringt Sie hin! Ich sag es
ihm gleich.«
    »Wenn es keine Umstände macht!«
    Er ging hinaus, und als er im
Korridor ein paar Schritte getan hatte, fehlte ihm auf einmal etwas: Die Uhr
tickte nicht. Er drehte sich zu ihr um: Sie zeigte neun Uhr an. »Die Zeit soll
doch fließen!« dachte er. Er überlegte schon, ob er die Uhr nicht aufziehen
sollte, aber dann war ihm das zuviel Aufwand. Auf dem Weg zurück ins Wohnzimmer
nahm er sich vor, hinaufzugehen und zu arbeiten.
    Das Wohnzimmer war nun voller Leute.
Aus Cemils Etage waren alle heraufgekommen. Das Zimmer war schon verraucht, und
alle flüsterten miteinander. Überrascht sah Ahmet, dass Mine weinte. Remzi
versuchte Ayşe zu trösten. Lâle sah ihre Großmutter aufmerksam an. Necdet
sagte etwas zu Cemil. Als er Ahmet erblickte, stand er auf, ging zu ihm hin und
klopfte ihm ein paarmal auf die Schulter. Dann blickte er sich zu seiner Frau
um, ob die das auch mitbekommen hatte, und als ihm das der Fall zu sein schien,
nickte er vielsagend, als habe er das alles kommen sehen.
    Ahmet ging zu Cemil, der sich nun
mit Osman unterhielt. »Die Krankenschwester möchte nach Hause!«
    »Die soll noch etwas warten!« sagte
Cemil und drehte sich wieder zu seinem Vater: »Ja, Papa?«
    »Diesmal übernimmst du das alles!«
sagte Osman.
    »Gut!«
    »Es soll alles so gestaltet werden,
wie es sich für unsere Familie geziemt. Pass also gut auf!«
    Cemil sagte zu Ahmet: »Das Auto
haben die Kinder genommen. Ich weiß jetzt auch nicht, wer die Frau
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