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Cécile

Cécile

Titel: Cécile
Autoren: Theodor Fontane
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Sängerwettkämpfe zu führen gedachten. Im Vorüberziehen an dem Hotel schwenkten sie die Hüte, zahllose Hochs ausbringend, von denen niemand recht wußte, wem sie galten. An ihre letzte Sektion aber schlossen sich alle diejenigen an, die der Zug außerdem noch gebracht hatte, lauter Durchschnittsfiguren, unter denen nur die direkt Abschließenden einiger Aufmerksamkeit wert waren.
    Es waren ihrer zwei, beide lebhaft plaudernd, aber doch nur wie Personen, die sich eben erst kennengelernt haben. Der zur Linken Gehende, schwarz gekleidet in Stehkragenrock, dabei von freundlichen Zügen, war ein alter Emeritus, den Gordon schon von verschiedenen Ausflügen und namentlich von der Table d'hôte her kannte, während der andere durch eine große Häßlichkeit und beinah mehr noch durch die Sonderbarkeit seiner Kleidung auffiel. Er trug nämlich ziemlich defekte Gamaschen und eine Manchesterweste, deren Schöße länger waren als seine Joppe, dazu Strippenhaar, Klapphut und Hornbrille. Worauf deutete das alles hin? Seinem unteren Menschen nach hätte man ihn ohne weiteres für einen Trapper, seinem oberen nach ebenso zweifellos für einen Rabulisten und Winkeladvokaten halten müssen, wenn nicht sein letztes und vorzüglichstes Ausrüstungsstück: eine Botanisiertrommel, gewesen wäre, ja sogar eine Botanisiertrommel am gestickten Bande. Diese beständig hin und her schiebend, schritt er an der Seite des geistlichen Herrn, der übrigens bereits Miene zum Abschwenken machte, mit großen Schritten und unter beständigen Gestikulationen auf die Parkwiese zu.
    »Botaniker«, sagte Gordon zu dem Wirte von »Hotel Zehnpfund«, der sich ihm mittlerweile gesellt hatte. »Sieht er nicht aus wie Knecht Ruprecht, der den Frühling in seinen Sack stecken will?«
    Der joviale Hotelier jedoch, der, wie die meisten seines Standes, ein Menschenkenner war, wollte von der Gordonschen Diagnose nichts wissen und sagte: »Nein, Herr von Gordon, die grüne Trommel, die kenn ich: in neun Fällen von zehn ist sie Vorratskammer, am gestickten Bande aber ist sie's immer. Nichts von Botanik. Ich halte den Herrn für einen Urnenbuddler.«
    »Archäologe?«
    »So drum herum.«
    Und als beide so sprachen, verschwand der Gegenstand ihrer Unterhaltung jenseits der Parkwiese, nachdem er sich schon vorher von dem im Hotel wohnenden Emeritus verabschiedet hatte.

 
Viertes Kapitel
     
    Zehn Minuten vor eins läutete die Tischglocke durch alle Korridore hin, und wiewohl die Haute-Saison noch nicht begonnen hatte, versammelte sich doch eine stattliche Zahl von Gästen im großen Speisesaal. Auch die beiden Berliner in Graubraun fehlten nicht und hatten sofort am untern Ende der Tafel eine Korona teils bewundernder, teils lächelnder Zuhörer um sich her, zu welchen letztren auch der alte Herr im geistlichen Rock und der Langhaarige mit der Hornbrille zählte. Das im Gegensatze zu dem unterwegs von Cécile geäußerten Wunsche heut ebenfalls erschienene St. Arnaudsche Paar war vom Oberkellner gebeten worden, die Mittelplätze der Tafel einzunehmen, gegenüber von Herrn von Gordon, der im selben Augenblicke, wo die Herrschaften Platz genommen hatten, auch schon die mit allerhand rotem Blattwerk zwischen ihm und Cécile stehende Vase zu verwünschen begann. Selbstverständlich ließ er sich durch dies Hindernis nicht abhalten, sich vorzustellen, worauf der Oberst, vielleicht weil er einen adeligen Namen gehört hatte, mit bemerkenswerter Artigkeit erwiderte: »von St. Arnaud – meine Frau.« Es schien aber bei diesem Namensaustausch bleiben zu sollen, denn Minuten vergingen, ohne daß ein weiterer Annäherungsversuch von hüben oder drüben gemacht worden wäre. Gordon, trotzdem ihm die Tage preußischer Disziplin um mehrere Jahre zurücklagen, glaubte doch, mit Rücksicht auf den Rang des Obersten, diesem das erste Wort überlassen zu müssen. Auch Cécile schwieg und richtete nur dann und wann ein Wort an ihren Gemahl, während sie mechanisch an einem Türkisringe drehte.
    Seit dem Ragoût fin en coquille, von dem sie zwei Bröckchen gekostet und zwei andere auf der Gabelspitze gelassen hatte, hatte sie bei jedem neu präsentierten Gange gedankt und lehnte sich jetzt mit verschränkten Armen in den Stuhl zurück, nur dann und wann nach der Saaluhr blickend, auf deren Zifferblatt der Zeiger langsam vorrückte. Gordon, auf bloße Beobachtung angewiesen, begann allmählich die Vase zu segnen, die, so hinderlich sie war, ihm wenigstens gestattete, seine Studien
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