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Casteel-Saga 05 - Dunkle Umarmung

Casteel-Saga 05 - Dunkle Umarmung

Titel: Casteel-Saga 05 - Dunkle Umarmung
Autoren: V.C. Andrews
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erwarten zu sehen, was du gemalt hast.«
    »Gut.« Sie lächelte. »Und jetzt sollten wir uns doch lieber beide anziehen, ehe dein Vater ein Loch in den Boden läuft.«
    Ich lachte, dachte an den armen Daddy und überlegte mir, wie es für ihn sein würde, jetzt mit zwei herangereiften Frauen leben zu müssen, statt nur mit einer. Aber ich könnte nie grausam zu Daddy sein, dachte ich. Ich würde ihm nie etwas vormachen können oder ihm nicht sagen, was ich wirklich dachte. Kam denn nie eine Zeit, fragte ich mich, eine Zeit – nachdem man sich verliebt hatte und verheiratet war –, in der man seinem Mann dann vertrauen und ihm gegenüber ehrlich sein durfte?
    Ich zog den neuen BH und einen meiner neuen Kaschmirpullover und den passenden Rock dazu an. Ich bürstete mir das Haar zurück und trug den Lippenstift genauso auf, wie Mama es mir gezeigt hatte, und dann fand ich die Schuhe mit den Absätzen und stellte mich vor den Spiegel, um mich anzusehen.
    Ich sah vollkommen anders aus. Es war, als sei ich über Nacht erwachsen geworden. Leute, die mich nicht kannten, hätten mein wahres Alter gewiß nicht schätzen können. Wie aufregend, dachte ich, und doch war es auf gewisse Weise ein wenig beängstigend. Ich sah älter aus – aber konnte ich mich auch benehmen, als sei ich älter? Ich beobachtete Mama immer in der Öffentlichkeit, wie sie von einer Rolle in eine andere zu schlüpfen schien, mal dies, mal das wurde, manchmal kicherte und sich albern benahm und dann wieder so elegant und aristokratisch wirkte, daß jeder sie für eine Adelige gehalten hätte.
    Schön war sie immer; sie stand im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Jedesmal, wenn sie einen Raum betrat, brachen Männer ihre Gespräche ab, und ihre Köpfe drehten sich so schnell nach ihr um, daß sie fast Genickstarre bekamen.
    Mich machte die Vorstellung nervös, daß in dem Restaurant, in dem wir mein Geburtstagsessen einnehmen wollten, die Blicke aller auf die Tür gerichtet sein würden, wenn wir eintraten. Männer und Frauen würden auch mich ganz genau betrachten. Ob sie wohl lachten? Würden sie sich sagen: Das ist ein junges Mädchen, das seine Mutter nachzuahmen versucht?
    Als ich schließlich die Treppe hinunterlief und auf Daddys Büro zuging, war ich von Sorge erfüllt. Er war der erste Mann, der mich in dieser Aufmachung sah, und im Moment war er der wichtigste Mann in meinem Leben. Mama machte sich noch fertig.
    Daddy stand hinter seinem Schreibtisch und las einen seiner Berichte. Vor zwei Jahren hatte Mama das gesamte Haus umgestalten und neu einrichten lassen, bis auf sein Büro. Es war der einzige Raum, den sie nicht verändern durfte, und das, obwohl auf dem Fußboden ein reichlich abgenutzter rechteckiger Teppich lag, den Mama als peinlich empfand. Den Schreibtisch hatte schon sein Vater besessen, und er hatte Kratzer und Sprünge an den Rändern, aber Daddy ließ nicht zu, daß etwas damit geschah. Sein Büro wirkte vollgestopft, weil er an allen Wänden Regale mit Modellschiffen und Büchern über Nautik hatte. Es gab ein kleines dunkelbraunes Ledersofa und einen abgenutzten Schaukelstuhl aus Walnußholz mit einem ovalen Ahorntisch daneben. Er las im Licht einer Öllampe aus Messing.
    Die einzigen Kunstwerke in diesem Raum waren Bilder von Schiffen: Yankee-Klipper und ein paar der ersten Luxusdampfer, und auf seinem unordentlichen Schreibtisch und dem ovalen Tisch standen Modelle aus getrocknetem und behandeltem Treibholz. An der Wand hinter ihm hing ein Porträt seines Vaters. Großpapa van Voreen, der zwei Jahre vor meiner Geburt gestorben war, hatte ein hartes, strenges Gesicht mit tiefen Falten und runzligen Wangen. Daddy sagte immer, er sei seiner Mutter ähnlicher, die auch schon vor meiner Geburt gestorben war. Auf Fotografien sah sie wie eine winzige, zarte Frau aus, von der Daddy wahrscheinlich seine stille und konservative Art geerbt hatte.
    Ich sah mir die Fotografien von Daddys Eltern häufig an, denn ich suchte nach Ähnlichkeiten mit mir selbst. Ich hatte den Eindruck, die Augen seiner Mutter könnten meinen auf manchen Bildern ähnlich sein, aber auf anderen sahen sie wieder ganz anders aus.
    Als er bemerkte, daß ich sein Büro betreten hatte, blickte er langsam auf. Im allerersten Moment war es, als hätte er mich nicht erkannt. Dann stand er schnell auf, und großes Erstaunen trat auf sein Gesicht.
    »Wie sehe ich aus, Daddy?« fragte ich zögernd.
    »Du wirkst so… erwachsen. Was hat deine Mutter mit dir
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