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Carolin - GesamtWerk

Carolin - GesamtWerk

Titel: Carolin - GesamtWerk
Autoren: Juergen Bruno Greulich
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Freundin hatte sie nicht mehr. Zurück zu den Eltern? Da war die Gosse noch besser! »Keine Ahnung. Nur weg.« Sie schleppte den Koffer in die Diele, zog eine kurze schwarze Jacke über das blaue Kleid und verließ das Haus, ohne Simon noch einmal anzuschauen. Es war warm draußen, ein schöner Frühsommertag, der ihr wie ein Hohn erschien. Sie setzte sich in ihr Auto und wusste plötzlich, wohin sie zu fahren hatte: Zum nächsten Flughafen, etwa hundert Kilometer entfernt.
    Die Dämmerung senkt sich übers Land, als sie dort ankam. Wie einfach das Leben doch sein konnte, wenn man eine Kreditkarte und ein gut gefülltes Konto besaß. Sie betrat eines der Reisebüros und wurde nach ihrem Wunsch gefragt. »Weg. Egal wohin. Ich brauche nur sofort einen Flug.« Die Dame hinter dem Schalter schaute sie verständnisvoll an und widmete sich dem Computer, um zu schauen, ob sich etwas machen ließ. Es sprangen ja immer wieder Reisende ab. — Aus dem Flugzeug? — Nein, vom Reisevertrag.
    Drei Stunden später flog Carolin in einem Jet in Richtung Türkei und die nächsten Tage verbrachte sie in einem komfortablen Hotel, dessen acht Stockwerke komplett mit deutschen Urlaubern gefüllt waren. In puncto Sprache gab es also kein Verständigungsproblem, nur in fast jeder sonstigen Beziehung. Ein braun gebrannter Animateur versuchte sie ins Unterhaltungsprogramm zu locken, ein seriös aussehender Ehemann mit hübscher Gattin und zwei nervenden Kindern wollte sie beharrlich zu einem Treffen »unter vier Augen« bewegen, ein gut aussehender junger Bursche, der mit seinen Eltern da war, der Ärmste, baggerte sie schüchtern bei jeder Begegnung an. Alle Bemühungen blieben erfolglos. Carolin war die Deutscheste aller Deutschen, da sie nicht einmal in Erwägung zog, das Beste aus der Zeit zu machen. Lieber gab sie sich der Schwermut hin, was aber vielleicht das Beste für sie war. Nicht zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich fehl am Platze. All die Annehmlichkeiten, das gute Essen, die neckischen Spiele am Pool, das Surfen und Tretbootfahren am Strand, das bemüht lockere Geplauder und Geschäker gehörten einer Welt an, die unbegreiflich war und keine Anziehungskraft besaß. Eine Ödnis. Wo ihr Platz war, wurde ihr in jeder Stunde hier am Meer zwischen all den gesellschaftsfähigen Menschen mehr bewusst. Wie hatte sie daran nur zweifeln können?
    Als die Woche eingesprungenen Pauschalurlaubs endlich abgesessen war, fiel ihr der Abschied leicht. Voller Erwartung und Bangen flog sie von einem strahlenden Mittelmeertag in einen bewölkten, aber immerhin nicht allzu kühlen Frühsommer zurück. Sie würde Simon doch hoffentlich nicht so sehr vor den Kopf gestoßen haben, dass er nichts mehr von ihr wissen wollte? Je näher sie ihm kam, desto bedrückender wurde die Sorge. Hoffentlich hatte sie nicht den schlimmsten Fehler ihres Lebens begangen. Es war kein Problem, in der verlassenen Straße einen Parkplatz zu finden. Gleich darauf stand sie mit pochendem Herzen vor dem Grundstückstor. Niemand war zu sehen weit und breit in der allmählich sich herabsenkenden Dämmerung.
    Sie musste nicht klingeln. Die Haustür wurde geöffnet und Simon stand da, bekleidet mit einer schwarzen Jeans und einem schwarzen Pullover. Er schien nicht überrascht, sie zu sehen, lächelte zurückhaltend, aber unübersehbar erfreut. »Komm rein, Carolin.« Ein Stein fiel ihr vom Herzen und sie versuchte sich ebenfalls an einem Lächeln. »Es tut mir leid, Simon, ich war wohl etwas durcheinander …«
    Er wollte keine Entschuldigung hören, winkte ab, ging mit ihr ins Wohnzimmer. Wäre jetzt nicht der richtige Moment für eine versöhnliche Umarmung gewesen? Zwei Schritte stand er von ihr entfernt und prüfend ruhte sein Blick auf ihr. »Du weißt, dass du jederzeit gehen kannst, wenn du willst. Du hast es ja erlebt. — Doch weißt du ebenso gut, dass du meine Anweisungen und Regeln befolgen musst, sobald du dich hier befindest. Nicht wahr?«
    »Ja, Simon.« Sein mahnender Blick sagte ihr, dass er sie sehr gehorsam erleben mochte, und rasch korrigierte sie ihre Bestätigung: »Ja, mein Herr, das weiß ich.«
    »Gut. — Denkst du noch an deine Kleiderregel?«
    »Ja, natürlich.« Verwundert bemerkte sie, dass sie es tatsächlich für »natürlich« hielt und sich sogar in ihrem seltsamen Urlaub daran gehalten hatte, wenngleich nur mangels eines Slips in ihrem Gepäck.
    »Lass sehen!«
    Warum nur überraschte es sie nicht, diesen Befehl jetzt zu hören?
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