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Camus, Albert

Camus, Albert

Titel: Camus, Albert
Autoren: Der Mensch in der Revolte
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Selbstgefälligkeit erhellt die tiefe Doppeldeutigkeit des absurden Standpunkts. In gewisser Weise lässt das Absurde den Menschen, den es in seiner Einsamkeit auszudrücken strebte, vor einem Spiegel leben. Die ursprüngliche Zerrissenheit läuft dann Gefahr, komfortabel zu werden. Die Wunde, die man so angelegentlich kratzt, wird schließlich lustvoll.
    Die großen Abenteurer des Absurden haben uns nicht gefehlt. Doch ermisst sich ihre Größe letztlich daran, dass sie die Selbstgefälligkeiten des Absurden zurückgewiesen haben, um allein dessen Forderungen zurückzubehalten. «Diejenigen sind meine Feinde», sagt Nietzsche, «die umstoßen und sich nicht selbst erschaffen wollen.» Er stürzt um, aber um etwas zu schaffen zu versuchen. Und er preist die Redlichkeit, indem er die ‹schweineschnäuzigen› Genießer geißelt. Um der Selbstgefälligkeit zu entgehen, findet das absurde Denken nun den Verzicht. Es verwirft die Selbstverzettelung und geht in eine willkürliche Selbstentblößung über, ein vorausbeschlossenes Schweigen, die befremdlicheAskese der Revolte. Rimbaud, der ‹das hübsche Verbrechen, plärrend im Straßenschmutz› besingt, fährt nach Harrar, um sich bloß darüber zu beklagen, dass er dort ohne Familie lebt. Das Leben war für ihn ‹eine Farce von allen zu spielen›. Aber in seiner Sterbestunde, da schrie er seiner Schwester zu: «Ich werde unter die Erde sinken, und du, du wirst in der Sonne gehen.»

    Das Absurde, als Lebensregel betrachtet, ist demnach widersprüchlich. Wen verwundert es, dass es uns die Werte nicht beibringt, die für uns über die Legitimität des Mordes entscheiden? Es ist im Übrigen nicht möglich, eine Haltung auf einer privilegierten Gefühlsbewegung zu begründen. Das Gefühl des Absurden ist ein Gefühl unter anderen. Dass es seine Farbe so vielen Gedanken und Handlungen zwischen den beiden Kriegen beigemischt hat, beweist nur seine Stärke und seine Berechtigung. Aber aus der Intensität eines Gefühls geht nicht sein universaler Charakter hervor. Der Irrtum einer ganzen Epoche war es, von einem Gefühl der Verzweiflung ausgehend, allgemeingültige Regeln des Handelns zu verkünden oder für verkündet zu halten, während die eigentümliche Bewegung dieses Gefühls darin besteht, über sich hinauszuführen. Großes Leid wie großes Glück kann am Anfang eines Gedankens stehen. Es sind Fürsprecher. Aber man kann sie nicht finden und behalten während der ganzen Dauer dieser Gedanken. Wenn es also gerechtfertigt war, die absurde Sensibilität zu berücksichtigen, die Diagnose eines Übels aufzustellen, wie man es in sich und bei den andern findet, so ist es unmöglich, in dieser Sensibilität und im Nihilismus, den sie voraussetzt, etwas anderes als einen Ausgangspunkt zu sehen, eine gelebte Kritik, die Entsprechung, auf dem Feld der Existenz, des systematischen Zweifels. Darauf muss man die starren Augen des Spiegelseindrücken und sich der unwiderstehlichen Bewegung überlassen, durch die das Absurde über sich hinauseilt.
    Ist der Spiegel eingedrückt, so bleibt nichts, was uns als Antwort dienen könnte auf die Fragen des Jahrhunderts. Das Absurde hat, wie der methodische Zweifel, Tabula rasa gemacht. Es lässt uns in der Sackgasse zurück. Doch wie der Zweifel kann es, indem es zu sich zurückkehrt, einer neuen Forschung die Richtung weisen. Die Überlegung setzt sich dann in der gleichen Weise fort. Ich rufe, dass ich an nichts glaube und dass alles absurd ist, aber ich kann an meinem Ausruf nicht zweifeln, und zum mindesten muss ich an meinen Protest glauben. Die erste und einzige Gewissheit, die mir so im Innern der absurden Erfahrung gegeben ist, ist die Revolte. Bar alles sicheren Wissens, gedrängt, zu töten oder einem Totschlag beizustimmen, besitze ich nur diese Gewissheit, die sich noch verstärkt durch die Zerrissenheit, in der ich lebe. Die Revolte keimt auf beim Anblick der Unvernunft, vor einem ungerechten und unverständlichen Leben. Aber ihre blinde Wucht fordert die Ordnung inmitten des Chaos und die Einheit inmitten dessen, was flieht und verschwindet. Sie schreit, sie fordert, sie verlangt, dass der Skandal aufhöre und dass zu fester Form zusammentrete, was bisher ohne Unterlass ins Wasser geschrieben wurde. Ihr Ziel ist, umzuformen. Doch umformen heißt handeln, und handeln heißt morgen töten, während man doch nicht weiß, ob der Mord gestattet ist. Sie erzeugt gerade die Handlungen, die zu legitimieren man von ihr verlangt. So
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