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Cäsar

Cäsar

Titel: Cäsar
Autoren: Gisbert Haefs
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zerschlagen und fiebrig, nach einer furchtbaren Niederlage wund und ausgelaugt. In einigen Tagen, das wußte er, würde er des guten alten Soldaten Ergebung ins Schicksal und in die unerforschlichen Ratschlüsse der Befehlenden wieder aufbringen können; zunächst jedoch hatte er Schlieren im Kopf, die Welt war verhangen.
    Besser so, sagte er sich, als sie zu dritt auf dem Ochsenkarren nach Nordwesten fuhren, nach Rom. Besser, Rührung oder Bitterkeit oder Abschiedsschmerz auf den Gesichtern der alten Gefährten nicht deutlich zu sehen; besser, den Verlust der selbstgeschaffenen Heimstatt durch einen Schleier wahrzunehmen. Besser, im Fieber an diese Frau zu denken, die Sternäugige, als tausend Einzelheiten zu betrachten. Sie tanzte durch seine Traumfetzen, die wahrscheinlich Bruchstücke der wirklichen Welt waren. Bruchstücke, die er vorerst nicht richtig zusammensetzen konnte.
    Zeit zum Rückblick würde er ausreichend bekommen, demnächst auf der langen öden Winterreise. Über dreizehn Jahre als Krieger, nicht ganz zwei Jahre als Wirt und Bauer; davor siebzehn Jahre als Sohn und Knecht eines Bauern. Demnächst wurde er vierunddreißig - ein gutes Alter, um ein viertes Leben zu beginnen.
    Die anderen zogen nach Süden und Südosten. Keiner wollte nach Rom, in die Unruhe, die drangvolle Unsicherheit. Capua, Neapolis, Dörfer im Binnenland, in den Bergen, oder kleine Orte an der Ostküste… Sie alle hatten verloren, würden neu beginnen müssen. Einige hatten in den Stuben der zensorischen Schreiber von Tusculum ihre Sklaven zu Freigelassenen erklärt und die nötigen Zahlungen entrichtet, andere wollten ihren Besitz wahren. Er hatte seine lebende Kriegsbeute freigegeben, bis auf Sasila, die nicht freigelassen werden wollte. Noch nicht; sie wollte ihn bis ins südliche Gallien begleiten und von dort versuchen, in ihre kantabrischen Berge heimzukehren. »Sklave leichter, Herr«, hatte sie gesagt. »Frei muß Grund haben für Reise, Sklave grundlos.«
    Zwei Ochsen, ein Karren, eine Ledertruhe, ein paar Reisebeutel, Decken und Planen für ein Zelt, Vorräte, Werkzeug, eine muntere kantabrische Sklavin, ein wirrköpfiger ehemaliger Krieger und Wirt, ein Dichter, der an einer Gabelung nach Osten schaute und »o funde noster« schrie, Blut spuckte und leiser fortfuhr, etwas von einem Landhaus und einem schlimmen Husten zu erzählen. Oder zu deklamieren. Aurelius fand, daß die langsame Fahrt und die Gesellschaft bestens zwischen den Schlieren seiner Fiebergesichte aufgehoben waren.
    Immer wieder dachte er an die Frau. Diese Frau; später nannte er sie jene Frau, die Sternäugige.
    In Rom sah er sie kurz wieder, von weitem, auf einer Straße in der Subura, wo sie von zwei Dienern geleitet nach Norden eilte, zu den besseren Häusern am Hang des Quirinalis. Aber ehe er sich ihr durch das Gedränge hätte nähern können, wäre sie längst verschwunden gewesen, deshalb versuchte er es gar nicht erst. Allerdings nicht nur wegen des Gedränges und seines Fußes. Es gab zuviel zu tun, er mußte endlich Ciceros Schreiber Tiro aufsuchen, und vorher hatte er noch etwas für den Dichter zu erledigen.
    Dieser war wie Sasila außerhalb der Stadt geblieben, in einer Schänke zwischen streunenden Vororthäusern. »Warum kommst du nicht mit? Es ist doch deine Stadt. Eine deiner beiden Städte.«
    »Ah. Nicht mehr.« Husten, blutiger Auswurf, dann: »Zwei Jahre her, fast. Ich will nicht gesehen werden, versteht ihr? Mein Buch… mein mit Bimsstein geglättetes Büchlein ist fertig, meine Liebe lutscht in finsteren Winkeln die Nachkommen des Remus aus, meine Bücher und Häuser verkauft, vertrunken. Ich will husten und dann Orpheus und Sappho in den Schatten suchen. Nicht von alten Freunden gesehen und an das Leben erinnert werden.«
    ›Eine lange Rede‹, dachte Aurelius; sehr lang für einen, der tagelang schweigen und trinken konnte und zwischendurch einen Vers oder Fluch absonderte. Vollkommene Verse, verkommene Flüche. Oder umgekehrt. Seit zwei Jahren hatte er nichts mehr aufgeschrieben.
    »Bist du denn dann noch Dichter?« hatte einer der anderen im Contubernium gefragt, in einer von vielen wilden Nächten.
    »Ist Aurelius nur dann ein Koch, wenn er kocht? Ein Bäkker, der gerade nicht am Ofen steht, sondern badet, ist immer noch Bäcker. Ein Dichter ist immer ein Dichter, auch wenn er nicht schreibt, sondern hustet. Und Verse - ah, Verse sollen gesprochen, geschrien, gesungen fliegen, nicht gefesselt auf Papyrus
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