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BY704 - Der Rächer aus Sing-Sing

BY704 - Der Rächer aus Sing-Sing

Titel: BY704 - Der Rächer aus Sing-Sing
Autoren: Der Rächer aus Sing-Sing
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über New York brütete. Stimmengewirr und Gelächter schlugen mir entgegen, als ich durch die Haustür trat und einem Mädchen meinen Hut überreichte.
    Diese Einladung hatte ich nicht ablehnen können. John Kingston-West war zwar doppelt so alt wie ich, aber er gehörte seit langem zu meinen Bekannten. Wir sahen uns höchstens dreimal im Jahr, da er viel auf Reisen war.
    »Guten Abend, Jerry! Wie schön, daß Sie gekommen sind!«
    Die Hausherrin kam mir mit ausgestreckter Hand entgegen. Ich begrüßte sie lächelnd. Henrietta Kingston-West bildete unter den Millionärsgattinnen die wohltuende Ausnahme: eine kleine, zierliche Frau Anfang 50 mit gepflegtem grauem Haar und warmen braunen Augen, die nicht daran dachte, ihr Alter zu verleugnen. Das schöne lebhafte Gesicht war trotz der vielen Fältchen fast ungeschminkt und strahlte so viel Wärme aus, daß sich jeder in ihrer Nähe wohl fühlte.
    »Kommen Sie herein, Jerry!« sagte sie. »John erwartet Sie.«
    Ich folgte ihr in das hellerleuchtete, von Musik und Gläserklirren erfüllte Wohnzimmer. Sie führte mich zu einer plaudernden Gruppe am Kamin. John Kingston-West, ein hochgewachsener grauhaariger Mann mit Hornbrille, der eher einem Gelehrten als einem erfolgreichen Industriellen glich, begrüßte mich herzlich und stellte mich den anderen vor. Fünf Minuten später sah ich mich in eine Diskussion über eine Kunstausstellung verwickelt.
    Das Gespräch wurde unterbrochen, als ein junger Mann auftauchte.
    »Das ist Jeff Perkins«, stellte John Kingston-West vor, »der Verlobte unserer Tochter.«
    Ich betrachtete den jungen Mann, der nervös mit einer Zigarettenschachtel spielte. Auf seinen Lippen lag ein merkwürdiges, bitteres Lächeln.
    Als er meinen Blick bemerkte, steckte er die Zigarettenschachtel weg und setzte wieder sein Zahnpasta-Reklame-Lächeln auf.
    Zwei Sekunden lang stutzte ich.
    Dann rief ich mich in Gedanken zur Ordnung. Mein inneres Alarmsystem mußte durcheinandergeraten sein. Denn an diesem grünen Jungen mit dem nichtssagenden Grinsen gab es wirklich nichts, was mein plötzliches Unbehagen hätte rechtfertigen können.
    Ich wandte mich wieder der Unterhaltung zu und verdrängte Jeff Perkins energisch aus meinem Gedächtnis.’
    Genau eineinhalb Stunden später wurde ich wieder an das eigenartige Lächeln erinnert, das ich aufgefangen hatte.
    Die ersten Gäste verabschiedeten sich bereits. In diesem Augenblick wurde draußen Motorengeräusch laut. Jemand scheuchte seinen Wagen auf Hochtouren. Ich stellte mich neben John Kingston-West und sah aus dem Fenster. Draußen jagte ein kleiner weißer Sunbeam um die Ecke und kam mit jaulendem Motor heran.
    John Kingston-West schüttelte den Kopf. »Das ist Doreen«, sagte er. »Sie fährt halsbrecherisch. Na ja, Sie wissen doch, wie die jungen Mädchen heute sind.«
    Ich hörte nicht genau zu. In meiner Magengrube machte sich wieder das jähe Unbehagen bemerkbar, das ich heute abend schon einmal verspürt hatte. Mein Blick suchte den jungen Mann mit dem Zahnpasta-Reklame-Lächeln. Jeff Perkins hatte sein Sektglas auf einem Tischchen abgestellt. Ich sah gerade noch, wie er sich durch die Terrassentür in den Garten zurückzog.
    Auf der Straße kreischten Bremsen. Doreens Wagen kam so plötzlich zum Stehen, daß der Oberkörper des Mädchens gegen das Lenkrad geschleudert wurde. Einen Augenblick blieb sie mit beiden Händen am Steuer liegen, den Kopf mit den blonden Locken nach vorn gebeugt.
    »Ich glaube, sie hat getrunken.« John Kingston-Wests Stimme hatte einen scharfen Unterton, seine Hand schloß sich fest um das Whiskyglas. »Das ist zuviel.«
    Ich beobachtete, wie das Mädchen die Wagentür aufstieß und schwankend vom Sitz rutschte. Ihr blondes Haar hing wirr im Gesicht. Es war naß von Schweiß. Kraftlos griffen ihre Hände ins Leere. Sie taumelte zum Wagen zurück, fing sich wieder und kam mit schwankenden, mühsamen Schritten auf das Haus zu.
    Aber in ihrem Gesicht lag nicht der Ausdruck von Trunkenheit. Auf ihrem Gesicht lag nackte verzweifelte Angst.
    Auch ihr Vater hatte es gesehen. »Doreen!« schrie er auf.
    Dann rannte er mit langen Schritten durch den Raum. Mit einem Ruck stieß er die Haustür auf.
    Doreen stand taumelnd auf der untersten Stufe der Treppe. Das rote Kleid mit dem gelben Blütenmuster war an der Schulter zerrissen. Das hübsche, noch fast kindliche Gesicht hatte sich verzerrt. Die veilchenblauen Augen flackerten. Ganz langsam hob Doreen die Hand und strich sich das
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