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Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Titel: Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume
Autoren: Donna Leon
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man selber unbedingt haben will. Also wird aufgerüstet, bis man sich stark genug fühlt, der Gegenseite die begehrten Güter zu entreißen, die diese ihrerseits mit Waffengewalt verteidigt. Und dann entbrennt ein Kampf oder eine Schlacht oder ein Krieg, und am Ende behält oder erobert die Partei mit den meisten Waffen oder der größten Truppenstärke das, worauf beide Seiten so erpicht waren.«
    »Und das wäre?«
    »Kupfer. Diamanten. Andere Mineralien. Frauen. Tiere. Je nachdem.« Antonin warf Brunetti einen Blick zu, dann fuhr er fort. »Lass mich dir ein Beispiel geben. Im Kongo wird ein Mineral gewonnen, das man zur Herstellung der Chips für Mobiltelefone benötigt. Zur Zeit ist der Kongo der Hauptlieferant, also kannst du dir sicher vorstellen, wie unerbittlich die Konkurrenten darum kämpfen.«
    »Nein.« Brunetti schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass ich mir das vorstellen kann.«
    Antonin schwieg eine Weile. Dann endlich räumte er ein: »Nein, das kannst du wohl wirklich nicht, Guido. Hier in dieser geregelten Welt mit Polizei, eigenen Autos und Häusern, haben die Menschen wohl keinen Schimmer davon, was es heißt, in einer praktisch gesetzlosen Welt zu leben.« Und bevor Brunetti etwas einwenden konnte, führ der Priester fort: »Ich weiß, ich weiß, hier klagt man über die Mafia und ihre Willkürherrschaft, aber der sind immerhin Grenzen gesetzt - bis zu einem gewissen Grad jedenfalls -, was ihr Terrain und ihren Handlungsspielraum betrifft. Um den Unterschied zu verstehen, musst du dir vielleicht vorstellen, wie es hier zuginge, wenn alle Macht allein in den Händen der Mafia läge. Wenn es keine Regierung gäbe, keine Polizei, keine Armee, nichts außer vagabundierenden Gangsterbanden, die sich einbilden, eine Waffe verleihe ihnen das Recht, sich zu nehmen, was immer sie wollen, Güter wie Menschen.«
    »Und so hast du gelebt?«, fragte Brunetti.
    »Anfangs nicht, nein. Zum Ende hin wurde es immer schlimmer. Vorher genossen wir doch einen gewissen Schutz. Und etwa ein Jahr lang hatten wir die UN-Blauhelme in der Nähe, die einigermaßen für Ruhe sorgten. Doch dann wurden sie abgezogen.«
    »Und dann bist du fort?«, fragte Brunetti.
    Der Priester rang nach Luft, als hätte man ihm einen Schlag versetzt. »Ja, dann bin ich fort«, sagte er. »Und nun muss ich mich mit den Problemen der Luxusgesellschaft befassen.« »Was dir offenbar nicht liegt«, warf Brunetti ein. »Ob es mir liegt oder nicht, ist ganz unerheblich, Guido. Worauf es ankommt, ist, sich ungeachtet aller Unterschiede klarzumachen, dass die Menschen hier wie dort in Nöten sind und dass reiche, gutgestellte Bürger ebenso leiden wie diese armen Teufel, die gar nichts besitzen und denen auch dieses Nichts noch genommen wird.«
    »Auch wenn man die Probleme nicht wirklich für vergleichbar hält?«
    Lächelnd und mit einem souveränen Achselzucken versetzte Antonin: »Der Glaube kann so ziemlich alles bewirken, mein Sohn.«

4
    G laube hin oder her, Brunetti wusste noch genauso wenig, was den Priester zu ihm geführt hatte, wie bei dessen Erscheinen. Er erkannte dagegen sehr wohl, dass der Padre ihn mit seinen Reden über das Elend der Kongolesen für sich einnehmen, sich sein Wohlwollen erschleichen wollte. Da die Not dieser Menschen selbst einen Stein erweichen würde, war Brunetti neugierig, wieso Antonin offenbar glaubte, sich mit seinen Schilderungen schon als besonders empfindsam zu empfehlen.
    Die letzte Bemerkung des Padre ließ Brunetti unbeantwortet im Raum stehen. Auch der Priester blieb still und reglos sitzen. Vielleicht hielt er ja das, was auf Brunetti wie fromme Platitüden gewirkt hatte, für so tiefsinnig, dass es nur stumme Anerkennung verdiente.
    Brunetti sah keine Veranlassung, das Schweigen zu brechen. Er wollte nichts von dem Priester, also ließ er ihn schmoren. Endlich sagte Antonin: »Ja, ich möchte deinen Rat einholen. Es geht, wie gesagt, um den Sohn einer Freundin.«
    »In Ordnung«, erwiderte Brunetti sachlich. Doch als Antonin nicht weitersprach, fragte er: »Was hat er denn getan?«
    Daraufhin presste der Priester die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf, so als hätte Brunetti ihm eine Frage gestellt, die zu schwer, wenn nicht gar unmöglich zu beantworten war. Endlich sagte er: »Getan hat er eigentlich noch nichts. Es geht vielmehr um das, was er zu tun vorhat.«
    Brunetti erwog die sich bietenden Möglichkeiten: Der junge Mann - einmal angenommen, dass er noch jung war mochte
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