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Brunetti 04 - Vendetta

Brunetti 04 - Vendetta

Titel: Brunetti 04 - Vendetta
Autoren: Donna Leon
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entschieden hätte, ihm den Fall zu übertragen, zog Brunetti es vor, die Warnung in diesen Worten zu überhören und statt dessen zu fragen: »Was ist mit den Leuten aus dem Zug?«
    Sein Gespräch mit dem Bürgermeister mußte bei Patta den Eindruck hinterlassen haben, daß schnelles Handeln hier wichtiger war als eine Belehrung Brunettis, denn er antwortete ohne Umschweife: »Die polizia ferroviaria hat die Namen und Anschriften aller Reisenden aufgenommen, die im Zug waren, als er in den Bahnhof einfuhr.« Brunetti hob fragend das Kinn, und Patta fuhr fort: »Ein paar wollen irgendwelche verdächtigen Leute im Zug gesehen haben. Steht alles im Bericht.« Er deutete auf eine vor ihm liegende Mappe.
    »Welcher Richter ist mit der Sache befaßt?« fragte Brunetti, denn damit würde er wissen, wieviel Rücksicht er auf den Lions Club nehmen mußte.
    »Vantuno«, antwortete Patta. Giudice Vantuno war eine Frau in Brunettis Alter, mit der er in der Vergangenheit schon erfolgreich zusammengearbeitet hatte. Obwohl aus Sizilien gebürtig wie Patta, wußte sie doch, daß es in Venedigs Gesellschaft allerlei Vielschichtigkeiten und Nuancen gab, die sie nie durchschauen würde, aber sie hatte so viel Zutrauen zu den örtlichen Commissari, daß sie ihnen große Freiheit bei ihren Ermittlungen ließ.
    Brunetti nickte nur, denn selbst diese kleine Genugtuung wollte er sich Patta gegenüber nicht anmerken lassen.
    »Aber ich erwarte täglich einen Bericht von Ihnen«, fuhr Patta fort. »Trevisan war ein wichtiger Mann. Ich habe wegen dieser Sache bereits einen Anruf aus dem Bürgermeisteramt bekommen, und ich sage Ihnen ganz offen, daß er die Geschichte so schnell wie möglich erledigt sehen will.«
    »Konnte er uns schon Hinweise geben?« fragte Brunetti.
    Patta, an die Unverschämtheiten seines Untergebenen gewöhnt, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und sah Brunetti einen Moment lang an, bevor er fragte: »Was für Hinweise?« Mit seiner deutlichen Betonung auf dem ersten Wort drückte er sein Mißfallen an der Frage aus.
    »Zu irgend etwas, worin Trevisan möglicherweise verwickelt war«, antwortete Brunetti ungerührt. Er meinte das ganz ernst. Wenn jemand Bürgermeister war, schloß das nicht aus, daß er über die dunklen Geheimnisse seiner Freunde Bescheid wußte, eher doch wohl im Gegenteil.
    »Ich hätte es unpassend gefunden, dem Bürgermeister eine solche Frage zu stellen«, antwortete Patta.
    »Dann tue ich es vielleicht«, meinte Brunetti ruhig.
    »Brunetti, machen Sie in dieser Sache keinen Wirbel.«
    »Den gibt es doch bereits«, sagte Brunetti und legte die Fotos in die Mappe zurück. »Sonst noch etwas, Vice-Questore?«
    Patta ließ ein paar Sekunden verstreichen, bevor er antwortete: »Nein, vorerst nicht.« Er schob Brunetti die Mappe hin. »Das hier können Sie mitnehmen. Und vergessen Sie nicht, daß ich jeden Tag einen Bericht haben möchte.« Als Brunetti nichts erwiderte, setzte Patta hinzu: »Oder geben Sie ihn Scarpa«, wobei er Brunetti lange genug im Auge behielt, um zu sehen, wie er auf den Namen seines allseits verhaßten Assistenten reagierte.
    »Gewiß, Vice-Questore«, antwortete Brunetti in neutralem Ton, nahm die Mappe an sich und stand auf. »Wohin hat man Trevisan gebracht?«
    »Ins Ospedale Civile. Ich nehme an, die Autopsie findet heute vormittag statt. Und denken Sie daran, daß er mit dem Bürgermeister befreundet war.«
    »Natürlich, Vice-Questore«, sagte Brunetti und ging.

6
    Signorina Elettra sah von ihrer Zeitschrift hoch, als Brunetti aus Pattas Büro kam. »Allora?« fragte sie.
    »Trevisan. Und ich soll es schnell zu Ende bringen, weil er mit dem Bürgermeister befreundet war.«
    »Die Trevisan ist eine Tigerin«, sagte Signorina Elettra, und zu seiner Ermutigung fügte sie noch hinzu:
    »Sie wird Ihnen Ärger machen.«
    »Gibt es eigentlich in dieser Stadt noch Leute, die Sie nicht kennen?« wollte Brunetti wissen.
    »Direkt kenne ich sie gar nicht. Aber sie war mal Patientin meiner Schwester.«
    »Barbara«, entfuhr es Brunetti, dem urplötzlich wieder einfiel, wo er ihre Schwester kennengelernt hatte. »Die Ärztin?«
    »Genau die, Commissario«, sagte sie mit genüßlichem Lächeln. »Ich habe mich schon gefragt, wie lange Sie wohl brauchen, bis Sie sich erinnern.«
    Als Signorina Elettra in der Questura angefangen hatte, war Brunetti ihr Familienname gleich bekannt vorgekommen; Zorzi war nicht unbedingt ein geläufiger Name, aber er hätte die aufgeweckte, strahlende
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