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Brennnesselsommer (German Edition)

Brennnesselsommer (German Edition)

Titel: Brennnesselsommer (German Edition)
Autoren: Annette Pehnt
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dem Kopf trägt, und begleitet sie zu einem Tisch. Fast alle Tische sind frei, es ist noch zu früh für die Abendgäste.
    »Ich habe aber gar keinen Hunger!«, sagt Anja. Sie ist ja jetzt Vegetarierin, einen Rehrücken würde sie sowieso nicht essen.
    »Wir müssen uns erst mal in Ruhe umschauen«, meint Fränzi. »Ihr könnt ja Cola bestellen oder so etwas, ich lade euch ein.«
    Sie setzen sich und tun so, als blätterten sie in den Speisekarten, und gleichzeitig lassen sie die Blicke durch den Gastraum schweifen. Die Fensterbänke und Tische sind geschmückt mit Tannenzapfen, Zwergen aus Rinde, großen Fliegenpilzen, auf denen Waldelfen aus Plastik kauern, und unter der Decke hängen Käfige, in denen Unmengen von Vögeln hin und her schwirren. Sie können kaum welche erkennen, weil es zwischen den alten Balken der Fachwerkdecke dämmrig ist.
    »Wenn man sie sowieso nicht sieht, braucht man doch auch keine zu haben«, überlegt Anja.
    Da tritt die Kellnerin schon wieder an ihren Tisch. Beim näheren Hinsehen bemerken sie, dass ihre Bluse mit winzigen Rehkitzen bedruckt ist und dass sie silberne Tannenzapfen als Ohrringe trägt. Sie bestellen Limo und einen Teller Pommes, und dabei bleibt es, obwohl die Kellnerin sie erwartungsvoll anstarrt.
    »Meine schmeckt besser«, meint Fränzi, als sie von Anjas Limo probiert, und dann lehnt sie sich zurück und schaut zu den Vögeln hoch.
    »Ein Freund von mir arbeitet hier manchmal in der Küche«, sagt sie. »Er hat mir neulich von den Vögeln erzählt. Ich kenne mich ja mit dem Federvieh nicht so aus, aber dass es in einem überheizten, vollgestopften Restaurant ohne Licht und Sonne für sie nicht gut ist, ist ja wohl klar. Manche hacken sich anscheinend gegenseitig, weil die Käfige so überfüllt sind. Ich habe schon an das Restaurant geschrieben, aber niemand hat geantwortet.«
    »Warum arbeitet dein Freund dann hier?«
    »Er muss sich ein bisschen Geld verdienen«, sagt Fränzi. »Er hat nicht viel. Ich habe ihm auch schon gesagt, er soll lieber Zeitungen austragen.«
    »Und was können wir machen?«, fragt Anja, während Flitzi in einem Zug die süße Limo leert.
    »Wir machen einfach ein paar Fotos«, sagt Fränzi, zieht ihre kleine Kamera aus der Tasche und fängt an, die Käfige unter der Decke zu fotografieren. Der Blitz schaltet sich automatisch ein und zuckt durch den Gastraum. Alarmiert lässt die Kellnerin das Glas sinken, das sie gerade poliert, und schaut zu ihnen herüber.
    »Gut«, murmelt Fränzi und blitzt gleich weiter. Dann steht sie auf, geht langsam durch den Raum und macht immer wieder Fotos. Die Dame mit dem Silberjäckchen und ihr Begleiter schauen ihnen neugierig dabei zu. Die Kellnerin verschwindet hinter der Schwingtür zur Küche und kommt mit einem Mann wieder heraus.
    »Ist das der Koch?«, flüstert Flitzi, aber er trägt keine Kochmütze, sondern eine Krawatte und eilt gleich auf Fränzi zu.
    »Deimel mein Name, ich bin der Chef hier. Darf ich fragen, was Sie vorhaben?«
    »Fränzi mein Name, guten Tag«, entgegnet Fränzi, ergreift seine Hand und schüttelt sie. Ungeduldig zieht er ihr die Finger weg.
    »Frau Fränzi, kann ich Ihnen behilflich sein? Ist alles zu Ihrer Zufriedenheit?«
    »Wir machen nur ein paar Bilder, meine Praktikantinnen und ich«, sagt Fränzi geschäftig und zielt mit der Kamera auf einen schmalen Käfig direkt neben einem Scheinwerfer, der ein Moosgesteck ausleuchtet. »Ist es nicht sehr heiß dort oben, für die Vögel meine ich?«
    »Wachtel haben wir auf der Speisekarte«, sagt Herr Deimel und lacht, als hätte er einen Witz gemacht. »Darf ich Ihnen vielleicht einen Aperitif auf Kosten des Hauses bringen?«
    »Sehr freundlich«, sagt Fränzi in einem eleganten Ton, den Anja und Flitzi noch nie an ihr gehört haben, »wir machen nur erst die Aufnahmen für unseren kleinen Bericht, danach gerne.«
    »Darf ich fragen, für wen Sie berichten?«, fragt Herr Deimel auf einmal sehr höflich.
    »Der Tierschutzbund wird sich für Ihre Walddekoration interessieren«, sagt Fränzi, »vor allem die Singvogelhaltung ist ja eine heikle Sache, wie Sie sicher wissen, und in der Gastronomie muss man natürlich immer auch die Hygienevorschriften im Kopf haben.«
    Anja staunt, wie viel Fränzi auf einmal spricht, und versucht, sich die Wörter Gastronomie und Hygiene zu merken, um später danach zu fragen. Langsam geht sie im Lokal herum und entdeckt hinter der Theke noch einen Papagei, der mit halb geschlossenen Augen auf einer
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