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Brandfährte (German Edition)

Brandfährte (German Edition)

Titel: Brandfährte (German Edition)
Autoren: Rose Gerdts
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Unaufgeräumt, irgendwie ungemütlich. Es passte nicht zu ihr. Er fügte diese Beobachtung gedanklich den Hunderten von Details hinzu, die er inzwischen über sie wusste. Aber im Augenblick hatte er keine Zeit, sich darüber weiter den Kopf zu zerbrechen. Jeden Moment könnte der Brand von Nachbarn bemerkt werden.
    Er lauschte an der Tür zum Hausflur. Alles im Treppenhaus war ruhig. Leise öffnete er die Tür. Dabei zog er sich seinen Pullover über die Hand, um keine Abdrücke an der Klinke zu hinterlassen. Aus dem Schlafzimmer quoll bereits dichter schwarzer Rauch, als er unbemerkt auf die Straße trat und langsam, die Hände in den Hosentaschen, davonschlenderte.
    Der erste Löschwagen bog um die Ecke, als er gerade zur Bushaltestelle ging. Während er sein Ticket löste, überholte ein Streifenwagen zwei Autos und raste zum Brandort. Er setzte sich direkt hinter den Busfahrer und kämpfte gegen eine plötzlich aufkommende Trauer an. Er hatte sie geliebt. Nein, das beschrieb es nicht. Er hätte alles für sie getan. Sie umsorgt, beschützt, verehrt. Sie hätten perfekt zusammengepasst. Wenn sie es denn zugelassen hätte.
    Seit ihrer ersten Begegnung war keine Stunde vergangen, in der er nicht an sie gedacht hatte. Er hatte heimlich Fotos von ihr geschossen und sie vergrößert.
    Maike, wie sie auf dem Rad zur Arbeit fuhr, wie sie auf dem Wochenmarkt Äpfel kaufte und dabei die Händlerin anlachte. Maike, wie sie mit einer Freundin vor dem Kino am Marktplatz stand oder mit einer Tüte Brötchen über die Straße ging.
    Am liebsten war ihm das Bild, auf dem Maike direkt in die Kamera schaute. Ein verwunderter, neugieriger Blick. Auf ihrem Gesicht schien ein Lächeln zu liegen. Deutlich war ihr Grübchen auf der rechten Wange zu sehen. Er hatte den Schnappschuss auf DIN  A 3 vergrößert, ihn kopiert und im Bad, auf dem Flur und im Schlafzimmer aufgehängt. Wie oft hatte er das Gesicht gestreichelt und es zu deuten versucht. Je nachdem aus welchem Winkel der Wohnung er das Foto anschaute, entdeckte er Neugierde, Sehnsucht oder ein flehentliches Bitten. Nach einigen Wochen fühlte er tief in sich, dass sie ihn auch begehrte. Aber sie war eine Meisterin darin, ihre Gefühle zu verbergen, sie in Schroffheit und Ablehnung zu kleiden. Sie waren füreinander geschaffen. Aber manche Menschen brauchten wohl einen Führer, um zu ihrem Lebensglück zu finden. Sie war es wert, dass er um ihre gemeinsame Zukunft kämpfte. So hatte er es wochenlang, monatelang hingenommen, wenn sie ihn vor den Kopf stieß, seine zahllosen E-Mails und SMS nicht beantwortete oder ihn aus dem Wartezimmer der Praxis warf. Aber Maikes Versuche, sich gegen ihre Liebe zu wehren, hatten ihn von Woche zu Woche mehr ausgelaugt. In einer nächtlichen Wutattacke zerstach er alle vier Reifen ihres Autos. Er schlitzte ihren Fahrradsattel auf. Er schämte sich später dafür, aber warum musste sie auch ihr Glück so mit Füßen treten?
    In den zurückliegenden Wochen bekam er sie nur noch selten zu Gesicht. Zu Hause in ihrer Wohnung blieben die beiden Zimmer, die zur Straße lagen, abends immer unbeleuchtet. Aus Sorge um sie passte er eines Nachts Maikes Nachbarin ab.
    Jeden Tag ging die alte Frau um 23  Uhr ein letztes Mal mit ihrem Hund vor die Tür. Genau 15  Minuten später kehrte sie von ihrem Spaziergang zurück. Die Frau hatte die Angewohnheit, die Haustür für ihren kurzen Gang um den Straßenblock nicht abzuschließen. Sie ließ die automatisch zuschwingende Tür einfach ins Schloss fallen. Im Schatten eines Busches, dicht an die Hauswand gepresst, wartete er den richtigen Moment ab und schlüpfte in den Hausflur, bevor sich die Tür hinter ihm wieder schloss. Die nächsten zehn Minuten verbrachte er lauschend vor Maikes Wohnungstür. Manchmal hörte er sie gedämpft sprechen oder husten. Kurz bevor die alte Nachbarin mit ihrem Hund zurückkehrte, verschwand er. Gewissenhaft schloss die Frau die Haustür nach ihrem Spaziergang wieder ab. Zweimal. So, wie sie es auf der jüngsten Eigentümerversammlung auf Drängen der jungen Frau aus dem zweiten Stock beschlossen hatten.
     
    Der Bus fuhr plötzlich rechts ran und stoppte abrupt. Zwei weitere Löschzüge fuhren mit hoher Geschwindigkeit vorbei.
     
    Sie hatte den Bogen überspannt. Irgendwann erträgt auch die größte Liebe keine Zurückweisung mehr. Tag und Nacht hatte er um sie gekämpft. Irgendwann lebte er nur noch für sie und konnte kaum mehr arbeiten. Er hatte sich nach ihr verzehrt. Jetzt
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