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Brandeis: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)

Brandeis: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)

Titel: Brandeis: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)
Autoren: Birgit Lautenbach , Johann Ebend
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schlug den Kragen hoch und ging so schnell, dass er zu frieren begann, als er auf den Zug warten musste. Aber dann stieg er in die Wärme, die nach nassen Schulranzen und Anoraks und ein bisschen nach Kotze roch. Aus den Ritzen des schwarzen Gummibelags schienen Reste eines Frühstücks notdürftig aufgewischt. Jetzt saß niemand im Abteil, der nach empfindlichem Magen aussah. Kein Kind, kein Schnapswrack. Nur ein junger Typ mit Ohrstöpseln,
Kaugummi und gelangweiltem Blick, ein Rentner mit Hund und Einkaufstasche, ein paar Hausfrauen.
    Keiner nahm von Thiel Notiz.
    Warum auch, sagte Thiel sich. Schließlich sah er nicht aus wie von einem anderen Stern. Er fühlte sich nur so.
    Aus dem Zugfenster sah er im Sonnenlicht über einer Sandbank den mächtigen Quader der Volkswerft, leuchtend blau wie seichte See. Sie verschwand aus seinem Blick, als die Rügenbrücke auftauchte. Er hatte gewusst, dass sie fertig war, hatte schon auf Bildern gesehen, dass sie leicht wie ein blaues Band über dem Sund zu schweben schien und den alten Damm daneben wie ein plumpes Relikt aus Dampflokzeiten aussehen ließ.
    Als sie den Bahndamm hinter sich hatten, wurde das Bild vor den Scheiben wieder vertrauter. Krähenschwärme auf überfrorenen Kuhweiden. Aufgegebenes Ackergerät, das am Feldrand vor sich hin rostete. Kurz hinter Samtens eine riesige neue Scheune.
    Es begann zu schneien, als sie Bergen erreichten.
    Thiel stieg als Letzter aus. Sah den anderen nach, wie sie zielstrebig den Bahnsteig verließen, und fühlte eine Art dumpfer Verlorenheit in sich aufsteigen.
    Er wusste, wohin er wollte. Aber wie jemand, der ein Ziel hat, fühlte er sich nicht.
    Er verstaute seinen Koffer in einem Schließfach und war pünktlich am Bus.
    Anderthalb Stunden Fahrt nach Südosten über die
Dörfer. Manche Gehöfte mit dicken Strohdächern und weißen Sprossenfenstern herausgeputzt, andere so grau wie eh und je. Die Autos neuer und schneller, die wulstigen Rindennarben an den Alleebäumen tiefer und zahlreicher.
    Rechts kamen die Hügel der Zicker Berge in Sicht.
    Links drehte sich die Windrose des Schöpfwerks langsam im stetigen Nordwest.
    Er stieg in Thiessow schon aus und ging die letzten Kilometer zu Fuß, um sich den Kopf vom Wind kühlen zu lassen.

3
    Sie hatten das kleine graue Haus abgerissen.
    Thiel sah es trotzdem vor sich. Die rußigen Wände, von denen das Löschwasser troff. Die zertretene Haustür. Davor den Körper, unter einer Decke verborgen und doch so grauenvoll sichtbar.
    Die blau zuckenden Lichter. Feuerwehr, Polizei. Den Rettungswagen.
    Sah sich selbst, in Unterhose und T-Shirt, mit der aufgeschlagenen Lippe und dem stechenden Schmerz in den Rippen, dort, wo Möhle mit aller Wucht zugeschlagen hatte.
    »Wir haben das Schwein!«, brüllte er und stieß Thiels Arm zwischen den Schulterblättern noch weiter nach oben.
    Thiel sackte vornüber, würgte und spuckte Blut auf den matschigen Boden.
    »Lass die Scheiße, du Idiot«, keuchte er.
    »Schnauze!« Möhle riss ihn an den Haaren wieder hoch. »Wenn wir mit dir fertig sind, reißt du das Maul nicht mehr auf!«
    Aus den Augenwinkeln sah Thiel, dass Barings Faust auf seinen Magen zufuhr. Er konnte sich unter Möhles
Griff nicht tief genug ducken und röchelte, als der Schlag ihn traf.
    »Schluss damit! Hört sofort auf!«
    Ehmke hatte ihn gerettet.
    Und eine Stunde später verhaftet.
     
    Der Plattenweg hatte jetzt eine Asphaltdecke. Entlang der Zufahrt waren Bäume gepflanzt. Auch rechts und links der Freitreppe. Aus dem Traum vom mecklenburgischen Anwesen war also doch noch etwas geworden. Eine hellgelbe Pracht mit hohen Fenstern in beiden Geschossen. Der lange Ziegelbau an der linken Hofseite sah nicht mehr nach Gesinde aus. Dunkelgrüne Türen, neue Fenster. Kein windschiefer Schuppen, kein Unkraut im Kopfsteinpflaster. Und natürlich keine selbst gezimmerten Bänke mehr.
    Thiel ließ seinen Blick über den Hof schweifen, über den sie ihn damals vor sich her getrieben hatten.
    Eine Frau trat aus dem Verwalterhaus und sah zu ihm herüber. Thiel drehte sich um und ging davon.
     
    »Hast du seine Jacke vernünftig zugeköpft?«
    »Hab ich.« Er sprach eigentlich nur zu sich selbst.
    »Binde ihm den Schal um! Es ist kalt draußen.« Sabine in ihrer Spezialdisziplin. Anweisungen erteilen und Überflüssiges sagen. Jeder Schwachsinnige wusste, wie kalt der Ostwind im Februar war. Noch dazu bei halbmeterhohem Schnee.
    »Das ist nicht meiner!«
    »Natürlich ist das deiner.« Mit
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