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Bradbury, Ray - Halloween

Bradbury, Ray - Halloween

Titel: Bradbury, Ray - Halloween
Autoren: Halloween
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Knochenmann kommen
und die Rechnung präsentieren. Oder vielleicht werde ich selbst kommen, der alte Downground, ein
Freund der Kinder, und sagen: ›Zahle!‹ Ein versprochenes Jahr ist ein geopfertes Jahr. Ich werde sagen:
›Gib‹, und ihr werdet geben.
Und was bedeutet das für jeden von euch?
Es bedeutet, daß die unter euch, die einundsiebzig
geworden wären, mit siebzig sterben müssen. Einige
von euch, die sechsundachtzig geworden wären,
müssen ihren Geist mit fünfundachtzig aufgeben.
Das ist ein hohes Alter. Ein Jahr mehr oder weniger
klingt läppisch. Aber wenn die Zeit gekommen ist,
könntet ihr es bereuen. Andererseits werdet ihr sagen können: ›Dieses Jahr habe ich gut genutzt – ich
hab es für Pip gegeben, ich hab ein Jahr meines Lebens für meinen lieben alten Freund gegeben, für
den schönsten Apfel, der je zu früh vom Baum fiel.‹
Einige, für die neunundvierzig bestimmt war, müssen mit achtundvierzig ins Jenseits. Einige, die
fünfundfünfzig hätten werden sollen, werden sich
mit vierundfünfzig zum langen Schlaf betten. Habt
ihr das alles auch wirklich begriffen, Jungs? Versteht ihr die Rechnung? Sind euch die Zahlen klar?
Ein Jahr! Wer bietet dreihundertfünfundsechzig
ganze Tage seines Lebens um Pipkin zurückzuholen? Überlegt es euch, Jungs. Schweigt – und dann
sprecht.«
Es herrschte eine lange, grübelnde Stille – wie
beim Kopfrechnen im Mathematikunterricht.
Das Ergebnis hatten sie schnell heraus, da gab es
nicht viel zu rechnen. Dabei wußten sie, daß sie irgendwann ihre Zweifel an dieser schrecklichen Eile
haben würden. Aber was konnten sie schon tun?
Doch nur hinausschwimmen und den ertrinkenden
Jungen retten, bevor er endgültig im gräßlichen
Staub versank.
»Ich gebe ein Jahr«, sagte Tom.
»Ich auch«, sagte Ralph.
»Und ich auch«, fiel Henry-Hank ein.
»Ich auch, ich auch«, kam es von den anderen.
»Wißt ihr auch, was ihr da sagt, Jungs? So sehr
liebt ihr Pipkin?«
»Ja, ja!«
»So sei es denn. Kaut und eßt, Jungs, eßt und
kaut.«
Sie stopften sich die Stücke des Zuckerschädels in
den Mund.
Sie kauten. Sie aßen.
»Schluckt die Finsternis, Jungs, opfert ein Jahr.«
Sie schluckten schwer, so schwer, daß ihre Augen
glänzten und ihr Herz klopfte und es in ihren Ohren
widerhallte.
Sie hatten das Gefühl, als würde in ihrer Brust, in
ihrem Körper ein Käfig mit unsichtbaren Vögeln geöffnet, die davonflogen. Sie sahen die Jahre und sahen sie nicht, die Jahre, die sie opferten und die um
die Welt flogen und sich irgendwo als korrekte Begleichung seltsamer Schulden niederließen.
Sie hörten einen Schrei.
»Ja!«
Und dann: »Ich!«
Und dann: »Komme!«
Tapp, tapp, tapp – drei Worte, und drei Schritte
auf dem Steinboden.
Und durch den Saal und zwischen den Reihen der
Mumien hindurch, die sich vorbeugten, um ihn aufzuhalten, und ihn doch nicht aufhielten, inmitten des
stummen Rufens und Schreiens rannte …
Pipkin!
Blindlings, mit ganzem Einsatz. Er warf die Beine,
er ruderte mit den Ellbogen, er blies die Backen auf,
kniff die Augen zu, schnaubte durch die Nase und
tapp, tapp, tappte mit dem Auf und Ab, Auf und Ab
seiner Füße auf den Boden.
Ach, wie er rannte !!!
»Seht nur, da kommt er! Los, Pipkin!«
»Du hast schon die Hälfte!«
»Wie er rennt!« riefen alle, und sie hatten Zuckerwerk im Mund, sie hatten den ehrenwerten Namen Pipkin ins Gehege ihrer Zähne gesperrt, sie hatten seinen Geschmack, seinen feinen Namen auf der
Zunge. Pip, Pip, Pipkin!
»Nicht stehenbleiben, Pip! Sieh dich nicht um!«
»Paß auf, daß du nicht fällst!«
»Jetzt hat er schon drei Viertel geschafft!«
Pip lief durch die Gasse. Er war gut und schön und
schnell und wahr. Zwischen den hundert wartenden
Mumien hindurch rannte er, ohne sie zu berühren,
ohne sich umzusehen, und …
… er gewann.
»Pip, du hast es geschafft!«
»Du bist in Sicherheit!«
Doch Pip rannte weiter. Nicht nur durch die Gasse
der Toten, sondern auch durch die Gasse aus erhitzten, schwitzenden, lebendigen, schreienden Jungen.
Er pflügte durch sie hindurch, rannte die Treppe
hinauf und war verschwunden.
»Pip, es ist alles gut – komm zurück!«
Sie eilten die Treppe hinauf, ihm nach.
»Wohin rennt er, Mr. Downground?«
»So verängstigt, wie er ist, würde ich sagen: nach
Hause«, sagte Downground.
»Ist Pipkin … gerettet?«
»Tja, wollen mal nachsehen. Hinauf!«
Er drehte sich wie ein Wirbelwind um sich selbst.
Seine ausgestreckten Arme durchschnitten die
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