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Blutiger Klee: Roman (German Edition)

Blutiger Klee: Roman (German Edition)

Titel: Blutiger Klee: Roman (German Edition)
Autoren: Marlene Faro
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er wieder
am Schreibtisch sitzen. Oder vielleicht würde schon heute Nacht das Handy klingeln
und ihn an einen Ort des Schreckens rufen. Das Böse ließ sich nicht austilgen. Aber
man musste es versuchen. Jeden Tag aufs Neue. Immer wieder.
    Er stand
da und überlegte. Die Küche war erfüllt von Wärme und Licht und Gerüchen, die einem
das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen. Er zögerte noch einen Moment lang, dann
ging er in die Diele hinaus, öffnete die Tür und machte die wenigen Schritte bis
zur Wohnung nebenan. Er drückte auf den Klingelknopf, es dauerte ziemlich lange,
bis Geräusche zu hören waren. Dann öffnete sich die Tür einen Spalt breit.
    »Guten Abend,
Herr Tichy«, sagte Pestallozzi. »Ich mache gerade ein paar Eier mit Speck. Wollen
Sie mit mir essen?«
     
    *
     
    Kann man einen Hamster eigentlich
zu Tode streicheln? Hoffentlich nicht, dachte Lisa Kleinschmidt. Max saß neben ihr
auf dem Sofa und hielt seinen Hamster an sich gepresst. Vor wenigen Tagen, an seinem
Geburtstag, hatte er einen Augenblick lang so enttäuscht dreingeschaut, dass sie
schon befürchtet hatte, er würde gleich in Tränen ausbrechen. Kein Hund! Aber dann
war das kleine semmelbraune Nagetier schnurstracks auf ihn zugetrippelt und hatte
sich hochheben und streicheln lassen – und seither waren die beiden unzertrennlich.
Das neue Familienmitglied war von seinem Besitzer aus unerfindlichen Gründen auf
den Namen ›Walter‹ getauft worden. Leider neigte Walter zu Durchfall, was bestimmt
damit zusammenhing, dass Max ihn heimlich mit Schokolade und Krümeln von Haselnussschnitten
fütterte statt mit den vorgeschriebenen Körnern. Aber sie hatte einfach keine Lust,
zu schimpfen.
    Aus der
Küche ertönte das Klirren von Porzellan auf dem Fliesenfußboden, dann ließ sich
Miriam vernehmen: »Nichts passiert, Mama! Wirklich nicht!«
    Schon den
ganzen Vormittag stand ihre Tochter draußen und schnetzelte und rührte mit roten
Backen. Im kommenden Frühjahr war ein Klassenausflug auf eine Selbstversorgerhütte
im Pinzgau geplant, wo die Vierzehnjährigen für alles verantwortlich sein würden,
auch fürs Kochen. Miriam hatte sich vorgenommen, ihre Freundinnen mit Spaghetti
zu überraschen. Aber natürlich nicht mit den simplen Nudeln ihrer Mutter mit dem
simplen Tomatensugo. Sondern mit einem hoch komplizierten Rezept, für das Sardellenfilets,
getrocknete Pilze und Pinienkerne im feinsten Delikatessenladen der Altstadt hatten
eingekauft werden müssen. Und jetzt stand sie schon seit Stunden draußen und wehrte
alle Hilfsangebote ab.
    »Mama, darf
ich den Walter zum Papa und der Tante Gundi mitnehmen? Die müssen ihn doch auch
kennenlernen!«
    »Unbedingt,
da hast du völlig recht, Schatz!«
    Sie versuchte,
nicht allzu schadenfroh zu grinsen. Der vorwitzige Walter mit den Stoffwechselstörungen
auf dem cremefarbenen Wohnzimmerteppich und dem Ledersofa von Georg und Gundula!
Aber alles nur eine Frage der Organisation, Tante Gundi!
    Im Vorzimmer
läutete das Handy, das noch immer in ihrer Handtasche steckte. Sie lief auf Wollsocken
hinaus und fühlte, wie sich ihre Schultern verspannten. Wer konnte das sein? Heute
war Sonntag, der erste wirklich freie Tag seit Langem. Bitte keine neue Leiche!
Sie wühlte in ihrer Handtasche, endlich fand sich das Handy ganz unten am Boden.
Die Nummer auf dem Display machte ihre Hoffnung schlagartig zunichte: das Institut!
    »Kleinschmidt,
hallo!«
    »Grüß Gott,
Frau Doktor«, sagte Roswitha. »Sie wissen ja, ich habe heute Bereitschaftsdienst.
Wir haben einen neuen Fall gemeldet bekommen. Ein Ehestreit mit tödlicher Kopfverletzung,
der genaue Hergang ist noch unklar. Man hat nach Ihnen gefragt. Aber die Frau Professor
ist gerade im Büro, weil sie doch diesen Vortrag vorbereiten muss, Sie wissen schon,
für die lange Nacht der Museen. Und sie läßt Ihnen ausrichten, dass sie sich um
die Sache kümmert. Es reicht, wenn Sie morgen früh am Institut sind. Das wollte
ich Ihnen nur sagen.«
    Sie war
so erleichtert, dass sich ihre Schultermuskulatur auf der Stelle entkrampfte. Der
Tag gehörte wirklich ihr. Ihr und ihrer kleinen Familie. Sie ging ins Wohnzimmer
zurück, wo Miriam begonnen hatte, den Tisch zu decken. Mit feierlicher Miene war
sie gerade dabei, Papierservietten zu Dreiecken zu falten. »Mama, ich darf doch
das schöne Service nehmen, ja?«
    Sie nickte
ihrer Tochter zu, die verschwand wieder in der Küche, aus der es mittlerweile erstaunlich
appetitlich duftete. Allerdings waren auch
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