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BLUTIGER FANG (German Edition)

BLUTIGER FANG (German Edition)

Titel: BLUTIGER FANG (German Edition)
Autoren: Simon Pflock
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bei der Leiche und der Löwin und er dachte, dass schon so viele Menschen gestorben waren und er dies alles nicht mehr rückgängig machen konnte. Aber er konnte wenigstens vor sich selbst den guten Willen bezeugen, dass er alles getan hatte, um nicht noch mehr Tote zuzulassen.
    Wenn er selbst heute Nacht sterben würde, dann wüsste er wofür und wobei. Haute er ab, dann würde er in den nächsten Tagen alles in der Zeitung lesen können und hätte zur Kenntnis zu nehmen, dass es einen Toten mehr gegeben haben würde und auch einen toten Löwen mehr. Früher oder später würden sie auf ihn kommen, weil man feststellen könnte, wer den anderen einen derart leichten Zugang ins Kaufhaus ermöglicht hatte. Ja, und selbst wenn der Verdacht niemals auf ihn fiele: Mit seinem Gewissen hätte er es den Rest seines Lebens auszumachen. Diese Hypothek erschien ihm schwerwiegender als die Angst vor einem nahenden und sehr wahrscheinlich grässlichen Tod.
    Nein, es war klar, dass er alles tun wollte, um noch mehr Unheil zu verhindern. Der Gedanke, einfach abzuhauen, kam ihm nach all diesen Überlegungen schäbig vor.
    Joel drehte sich um.
    Er schaute auf den Mercedes CLK, den er vorhin in der Mitte des Gangs abgestellt hatte. Dann holte er die Fernbedienung heraus und probierte sie kurz aus. Es war ein Kinderspiel, den Wagen vorwärts, rückwärts, verschieden schnell und Kurven fahren zu lassen. Er probierte es nur wenige Sekunden aus, da er die Befürchtung hegte, das Gehör des Löwen könnte das Surren des Elektromotors aufnehmen und ihn dazu bewegen, hier früher, als Joel lieb war, aufzukreuzen.
    Joel blinzelte hinaus und biss sich auf die Unterlippe. Immer wieder schrubbte er mit den Zähnen daran.  
    Nein, der Entschluss war gefasst, endgültig, unwiderruflich. Doch vorsätzlich umbringen wollte er sich natürlich nicht. Deshalb überlegte er, wie er verhindern könnte, dass der Löwe – sollte er denn irgendwo in den hinteren Abteilungen sein – auf der Seite der Rolltreppen auf das Restaurant zukäme, wo die Abteilung Weiße Ware und damit ja auch er selbst lag und ausharren würde. Er musste dafür sorgen, dass der Pascha auf der anderen Seite auf das Restaurant zuging.
    Und dahin schaute Joel jetzt. Er erblickte die Konturen der großen Regalständer und dachte daran, was es vorhin für einen Lärm gegeben hatte, als er bei seiner Flucht das eine oder andere Spielzeug von den Ständern gerissen hatte.
    Er hielt inne, kontrollierte, dass er die Fernbedienung fest in der Hand hielt, blickte noch einmal zu dem Modellauto, das schon in Richtung zur Terrasse startbereit war, machte den Deckel des Lichtkastens, so weit es ging, auf und schaute hinaus.
    Dann löschte er das Licht und rannte wie besessen los.
    Er hielt auf die Spielwaren zu.
    Joel kam beim ersten Regal an und riss wahllos Gegenstände herunter – überwiegend Puppen samt Zubehör, das rasselnd und klappernd auf den Boden fiel. Einen kleineren Regalständer, auf dem weitere Spielzeugautos standen, riss er zur Gänze um, was einen Höllenlärm machte.
    Joel hob einige der Spielsachen auf und warf sie so weit wie möglich nach hinten zu den anderen Regalen, wo sie ebenfalls lärmend durcheinander rasselten. Lärmend genug jedenfalls, dass der Löwe es hören musste.
    Dann nahm er die Beine in die Hand und hetzte wie ein aufgescheuchtes Reh an den Rolltreppen vorbei und hinüber zur Abteilung Weiße Ware.
    Dort versteckte er sich keuchend zwischen den schon erwählten Waschmaschinen und kniete nieder.
    Nur sein Kopf ragte noch über die Geräte hervor und verharrte regungslos.
    Die Stille nach dem Lärm war gespenstisch.
    Joel hielt den Atem an und fühlte sich kreidig. Abermals hatte er das Gefühl, seine Stirn sei eiskalt und seine Sehfähigkeit hätte doch wieder nachgelassen.
    Plötzlich bewegte sich der Schatten des Paschas auf der anderen Seite der Rolltreppen zwischen den letzten Regalgängen der Spielwarenabteilung.
    Joels Augenlider flatterten spastisch und in schmerzhafter Anstrengung versuchte er, etwas zu erkennen. Er registrierte erneut, dass seine Sehfähigkeit ständig schwankte – mal war sie besser, mal schlechter. Hoffentlich blieb er in dieser Hinsicht voll handlungsfähig. Denn als Blinder konnte er hier gar nichts mehr ausrichten.
    Der Löwe war zweifellos von dem Lärm angelockt worden und kam – zum Glück in weiter Ferne und auf der anderen Seite der Rolltreppen – in Joels Richtung.
    Joel duckte sich hinter der Waschmaschine weg.
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