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Blutige Stille. Thriller

Blutige Stille. Thriller

Titel: Blutige Stille. Thriller
Autoren: Linda Castillo
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habe. Meine Entscheidung habe ich nie angezweifelt, nie bereut. Und ganz bestimmt habe ich mir nie vorgestellt, was gewesen wäre, wenn … Doch heute, nach siebzehn Jahren, tue ich genau das: Hätte ich mich damals nach der Vergewaltigung nicht für eine Abtreibung entschieden, hätte ich jetzt ein sechzehn Jahre altes Kind. Eine seltsame Vorstellung.
    Tränen rollen mir über die Wangen, und heftige Schluchzer erfüllen die Stille, scheinen von den Grabsteinen und kahlen Osagedornästen widerzuhallen. Ich stelle mich auf, ziehe den Flachmann aus der Tasche und nehme noch einen kräftigen Schluck. Das Quietschen von Autoreifen auf nassem Asphalt lässt mich aufhorchen, ich drehe mich um und sehe, wie Tomasetti mit seinem schwarzen Tahoe neben meinem Explorer parkt und aussteigt.
    Ich will nicht, dass er mich so sieht, wische mir schnell die Augen trocken, lasse den Flachmann in der Jackentasche verschwinden und blicke ihm entgegen. Mit großen, zielstrebigen Schritten kommt er auf mich zu.
    »Für eine Polizeichefin bist du ganz schön schwer zu finden.« Er bleibt vor mir stehen. »Du hast dein Handy ausgestellt.«
    »Ich bin nicht im Dienst.«
    Er nickt, sieht zu den Gräbern, runzelt beim Anblick der Puppe die Stirn und schaut mich wieder an. »Alles in Ordnung mit dir?«
    Klar, denke ich, und will ein paar spitze Bemerkungen über sein schickes Städter-Outfit machen und dass er mich in so einem privaten Moment nicht stören sollte. Ich könnte ihm auch unter die Nase reiben, dass sich meine riskante Unternehmung gelohnt hat, könnte Witze über Skids halbrasierten Kopf machen oder damit angeben, dass ich die Scheißkerle doch letztendlich gekriegt habe. Stattdessen vergrabe ich mein Gesicht in den Händen und breche in Tränen aus.
    Einen Moment lang sind nur das Platschen des Regens zu hören, der Schrei einer Krähe, die sich von einem Ast in die Lüfte schwingt, und mein Schluchzen. Tomasetti bleibt, wo er ist, lässt mich in Frieden.
    »Tut mir leid«, sage ich nach einer Weile. »Ich bin ziemlich fertig.«
    »Das ist okay.«
    »Nein.« Mit dem rechten Ärmel wische ich mir übers Gesicht. »Ich will nicht, dass du mich so siehst.«
    »Ich hab dich schon nackt gesehen.«
    Ich muss lachen, hebe den Kopf und sehe ihn an. »Bring mich nicht zum Lachen.«
    »Tut mir leid.«
    Ich seufze, versuche mich zu beruhigen. »Ich dachte, mir ginge es besser, wenn es vorbei ist.«
    »Du brauchst Zeit. Du hast viel durchgemacht, Kate.«
    »Ich wollte mehr für sie tun.«
    »Du hast deine Arbeit gemacht. Du hast ihnen Gerechtigkeit widerfahren lassen.«
    »Und mir selbst auch.«
    »Du hast einen Mörder bei einem Einsatz erschossen«, erwidert er.
    »Ich hab ihn erschossen, als er am Boden lag.«
    »Er hatte eine Waffe. Du hattest keine Wahl.« Tomasetti sieht mich eindringlich an. »Schuldgefühle können einem das Leben schwermachen, wenn man sie zulässt.«
    Er hat natürlich recht. Der Gebrauch einer tödlichen Waffe wiegt schwer für einen Polizisten, selbst jetzt spüre ich das Gewicht der Verantwortung. Aber nicht auf die Weise, wie er denkt.
    »Ich habe kein Problem damit, dass ich Barbereaux getötet habe«, bemerke ich nach einer Weile.
    »Dann sag mir, dass du nicht sein Gesicht siehst, wenn du nachts die Augen schließt.« Er runzelt die Stirn. »Sag mir, dass das nicht der Grund ist, warum du trinkst.«
    »Was mir zu schaffen macht, ist nur das gute Gefühl beim Abdrücken, sonst nichts. Was für ein Mensch bin ich dann wohl?«
    »Du bist eine Polizistin, die eine schwere Entscheidung zu treffen hatte, nicht mehr und nicht weniger. Ende der Geschichte.«
    Ich halte seinem Blick nicht stand und wende den Kopf ab, schaue über das Meer aus Grabsteinen. »Es gab so verdammt viele Parallelen, Tomasetti.«
    »Ich weiß.«
    »Sie war jung, in Schwierigkeiten und amisch. Und sie war schwanger.« Ich fahre mir mit der Hand übers Gesicht und merke überrascht, dass ich wieder weine.
    »Sie war naiv, Kate, und das warst du nie.«
    »Die Moral der Geschichte ist vermutlich, dass man die Zeit nicht zurückdrehen kann.«
    Inzwischen regnet es ziemlich stark. Seine Haare sind nass, die Schultern seines Mantels. Auch meine Jacke ist langsam durchgeweicht. »Es gibt zu wenig Gutes auf der Welt«, sage ich leise.
    »Es gibt mehr Gutes als Schlechtes. Du musst es nur suchen. Und wenn du es gefunden hast, darfst du es nicht mehr loslassen.«
    Er breitet die Arme aus, und ich schmiege mich an ihn. Seine Stärke und Wärme
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