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Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)

Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)

Titel: Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
Autoren: Patricia Cornwell
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ihretwegen.
    Kathleen Lawler hat ein furchtbares Leben hinter sich und verbüßt derzeit eine zwanzigjährige Haftstrafe wegen fahrlässiger Tötung in Verbindung mit Alkohol am Steuer. Inzwischen hat sie mehr Jahre hinter Gittern verbracht als in Freiheit, seit sie in den Siebzigern verurteilt worden ist, weil sie einen Jungen sexuell missbraucht hat, der später mein Stellvertreter Jack Fielding wurde. Nun ist er tot, in den Kopf geschossen von ihrem gemeinsamen Kind der Liebe, wie die Medien Dawn Kincaid nennen. Sie wurde zur Adoption freigegeben, während ihre Mutter wegen der Tat, bei der sie gezeugt wurde, im Gefängnis saß. Es ist eine sehr lange Geschichte. Bei diesem Satz ertappe ich mich in letzter Zeit ziemlich oft, und wenn ich etwas im Leben gelernt habe, dann dass eins unweigerlich zum anderen führt. Kathleen Lawlers katastrophale Vita ist ein ausgezeichnetes Beispiel, um zu illustrieren, was Wissenschaftler mit dem Ausspruch meinen, das Schlagen eines Schmetterlingsflügels könne irgendwo anders auf der Erde einen Orkan auslösen.
    Während ich den dröhnenden und rumpelnden Mietwagen durch die zugewucherte, morastige Landschaft lenke, die vermutlich schon zur Zeit der Dinosaurier nicht viel anders ausgesehen hat, frage ich mich, welcher Flügelschlag eines Schmetterlings, welche beinahe unmerkliche Störung wohl Kathleen Lawler den Anstoß gegeben und den von ihr angerichteten Schaden ausgelöst haben mag. Ich stelle sie mir in ihrer fünf Quadratmeter großen Zelle mit der blitzblanken Edelstahltoilette, dem Bett aus grauem Metall und dem kleinen, mit Maschendraht abgedeckten Fenster vor, das den Blick auf einen Gefängnishof mit derbem Gras, Bänken aus Beton und Chemieklos bietet. Ich weiß, wie viele Garnituren Kleidung sie besitzt, keine »Sachen wie in der Freiheit«, hat sie mir in ihren E-Mails erklärt, die ich nicht beantworte. Nur Gefängnisuniformen, Hosen und Oberteile, jeweils zwei Stück. Sie hat jedes Buch in der Gefängnisbibliothek mindestens fünfmal gelesen und mir mitgeteilt, dass sie schriftstellerisches Talent hat. Vor einigen Monaten hat sie mir ein Gedicht über Jack geschickt.
     
    SCHICKSAL
    er kam als luft zurück und ich als erde
    und anfangs fanden wir einander nicht.
    (in wahrheit war es nicht falsch,
    nur eine formalität,
    die keinen von uns störte und
    auf die keiner von uns hörte).
    finger, zehen aus feuer.
    und eiskalter stahl.
    das backrohr klafft,
    es strömt das gas –
    erwartungsvoll wie die lichter eines einladenden motels.
     
    Ich habe das Gedicht wieder und wieder gelesen, es Wort für Wort zerlegt und nach Botschaften zwischen den Zeilen gesucht. Zunächst war ich besorgt, die düstere Anspielung auf den eingeschalteten Gasherd könnte ein Hinweis darauf sein, dass Kathleen Lawler Selbstmordgedanken hat. Vielleicht ist der Tod für sie ja so anziehend wie ein einladendes Motel, meinte ich zu Benton, der erwiderte, das Gedicht zeige, dass sie eine Soziopathin sei und an einer Persönlichkeitsstörung litte. Sie glaube nicht, dass sie etwas falsch gemacht habe. Sex mit einem zwölfjährigen Jungen in dem Heim für schwererziehbare Jugendliche, wo sie als Therapeutin tätig war, sei für sie etwas Schönes, eine Vereinigung in reiner und vollendeter Liebe. Es sei Schicksal gewesen. Ihre Bestimmung. Diese Sicht der Dinge sei wahnhaft, sagte Benton.
    Vor zwei Wochen brachen die Mails dann schlagartig ab, und mein Anwalt rief mich mit einer Bitte an: Kathleen Lawler wolle mit mir über Jack Fielding sprechen, den Protegé, den ich in den Anfangstagen meiner Karriere ausgebildet und mit dem ich im Laufe von zwanzig Jahren immer wieder zusammengearbeitet habe. Ich war einverstanden, mich mit ihr im Georgia Prison for Women zu treffen, doch nur im Rahmen eines privaten Besuchs. Ich werde weder als Dr. Kay Scarpetta noch als Leiterin des Cambridge Forensic Center auftreten. Heute bin ich nur Kay, und Jack ist das Einzige, was Kay und Kathleen gemeinsam haben. Unser Gespräch wird nicht unter die Schwei- gepflicht fallen, und es werden auch keine Anwälte, Aufseher oder andere Gefängnismitarbeiter anwesend sein.
    Die Lichtverhältnisse ändern sich. Der dichte Nadelwald wird dünner und endet dann an einer tristen baumlosen Fläche. Das Gelände, es erinnert an ein Industriegebiet, ist mit grünen Metallschildern bestückt, die mich warnen, dass die Landstraße, auf der ich mich befinde, nun endet und dass die Zufahrt für Unbefugte verboten ist. Wer keine
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