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Blinde Wut

Blinde Wut

Titel: Blinde Wut
Autoren: Peter Scheibler
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verstorben, so daß mit keiner Störung zu rechnen war. Kleinhanns eilte durch die Pathologie. Die beiden zugedeckten Leichen, die auf den Obduktionstischen lagen, machten ihm weniger zu schaffen als der unangenehm süßliche Geruch, der in der Luft hing und ihm wahrscheinlich eine ganze Weile in der Nase bleiben würde. Bevor er die Pathologie verließ, besorgte er sich noch einen Ärztekittel, der an einem Haken im Korridor hing, und streifte ihn über, obwohl auch an ihm der ekelhafte Geruch haftete. Der Kittel würde ihm zur Tarnung dienen und gleichzeitig seine Anwesenheit legitimieren. Bei der Fluktuation im Personal und den vielen Aushilfskräften war es unwahrscheinlich, daß man ihn entdecken würde. Kleinhanns nahm die Treppen nach oben. Hier würde er sich im Notfall eher verstecken können, im Fahrstuhl wäre er dagegen eingesperrt und den Blicken eines möglichen Mitbenutzers ausgesetzt. Kleinhanns gelangte problemlos zu der Abteilung, in der Däubler lag und war an dessen Tür, als er Schritte hörte. Bevor erkennbar wurde, zu wem diese Schritte gehörten, war Kleinhanns auch schon in Däublers Krankenzimmer verschwunden.
     
     
    Däubler war unterdessen oben in der Kinderabteilung angekommen und unschlüssig stehengeblieben. Es gab mehrere Türen, und er wußte nicht, hinter welcher Christian lag. Als er sich endlich entschieden hatte und eine der Türen aufdrückte, erkannte er, daß er instinktiv die richtige erwischt hatte. Er schlüpfte in das Zimmer und schloß leise die Tür hinter sich.
    Christian lag in seinem Bett und schlief. Das schwache Licht der Nachtbeleuchtung ließ ihn zerbrechlicher erscheinen, als er tatsächlich war. Däubler war an das Fußende des Bettes getreten und sah auf seinen Sohn hinab. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihn. Auf dieses geliebte Wesen sollte er geschossen haben? Die Vorstellung war ihm unerträglich. Über diese Schuld würde er nie in seinem Leben hinwegkommen. Er konnte seine Tränen nicht länger zurückhalten. Und in diesem Augenblick schlug Christian die Augen auf und lächelte seinen Vater an.
    »Papa…«, brachte er glücklich hervor, und Däubler lächelte zurück. Dann erstarb sein Lächeln, und seine Züge verzerrten sich vor Schmerz. Er drehte sich um und stürzte aus dem Zimmer.
     
     
    Kleinhanns war etwas irritiert, als er entdecken mußte, daß sein Schwager nicht in seinem Zimmer war. Das Bett war noch warm, also konnte er noch nicht lange fort sein. Seine Sachen waren noch da, im Schrank lag das Paket von der Reinigung, getürmt war er also auch nicht. Ein Hoffnungsschimmer tauchte bei Kleinhanns auf. Vielleicht würde Däubler sich außerhalb des Zimmers erschießen, irgendwo draußen, in der Besenkammer oder auf der Toilette. Lorenz beschloß, erst einmal abzuwarten und setzte sich auf einen Stuhl, den er zuvor in eine Ecke geschoben hatte, damit man ihn nicht gleich sehen konnte.
    Es dauerte eine ganze Weile, bis plötzlich die Tür aufgerissen wurde und Däubler in das Krankenzimmer gestürzt kam. Seine Züge waren verzerrt und er schien innerlich aufgewühlt zu sein. Daß er nicht allein im Zimmer war, hatte er nicht bemerkt.
    Kleinhanns beobachtete, wie Däubler an den Schrank trat, das Paket von der Reinigung hervorholte, es öffnete und langsam wie in Trance die Kleidung anlegte, die er in der Mordnacht getragen hatte.
    Däubler, der immer noch nicht entdeckt hatte, daß noch jemand im Zimmer war, trat vor den Spiegel und betrachtete das Gesicht, das ihm da entgegenstarrte, voller Abscheu. Schließlich löste er sich von dem Anblick, holte die Pistole, die er im Schrank versteckt hatte, schob sie in seine Hosentasche und verließ das Zimmer, nachdem er vorsichtig nach draußen gespäht und sich davon überzeugt hatte, daß die Luft rein war.
    Kleinhanns hatte sich zweimal bemerkbar machen wollen, dann aber gezögert, weil er den Augenblick abpassen wollte, in dem sein plötzliches Erscheinen am effektivsten wäre. Als ihm dann klar wurde, daß sein Eingreifen nicht mehr erforderlich sein würde, hatte er sich mucksmäuschenstill verhalten und war froh, als Däubler verschwunden war. Wohin er sich begeben würde, konnte Kleinhanns sich auch denken, und so machte er sich auf, um das Krankenhaus so unbemerkt wieder zu verlassen, wie er es betreten hatte.
     
     
    Den Weg nach unten hatte Däubler schnell und ohne auf Schwierigkeiten gestoßen zu sein, hinter sich gebracht, und das Glück war auch auf seiner Seite, als es galt,
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