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Bis die Daemmerung uns scheidet

Bis die Daemmerung uns scheidet

Titel: Bis die Daemmerung uns scheidet
Autoren: Rachel Caine
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Gegner – und wer er war, spielte keine Rolle. Er war keine Person, er war ein Ding und ich schlug ihm mit voller Kraft ins Gesicht. Immer wieder. Jedes Mal schoss mir der Schmerz in den Arm und mir wurde übel davon, als wäre ich betrunken und würde auf die Knie fallen, um mich zu übergeben, aber dann ließ die Übelkeit wieder nach und ich schlug wieder zu.
    Ich schlug besonders kräftig und spürte, wie ein Knochen in meiner Hand brach. Einer von den kleinen – keine große Sache –, aber das helle, hohe Knacken fühlte sich an, als würde rotes Stroboskoplicht durch mich hindurchzucken, und eine oder zwei Sekunden lang war ich ganz klar im Kopf.
    Da sah ich ein Mädchen an der Käfigtür rütteln, es versuchte, sie zu öffnen. Ein großes Mädchen in einem verratzten, zerrissenen Regenmantel und einem bescheuerten Riesenhut, der herunterfiel, während sie mit der Verriegelung der Tür kämpfte. Darunter kam eine schimmernde schwarze Bobfrisur zum Vorschein und ein Gesicht, das so bleich war wie das eines Vamps.
    »Gott, Shane, hör auf!« Eve brüllte und schlug so heftig auf die Gitterstäbe, dass sie dröhnten. »Hör auf! Was machst du da?«
    Es war so schockierend, als würde Alyssa dort stehen, und einen Augenblick lang glaubte ich tatsächlich, Lyss zu sehen, so wie sie das letzte Mal gewesen war, als sie so hübsch und klug aussah und zu allem bereit war. Bereit zu sterben. Und ich konnte sie nicht retten, weil ich ein Loser und weil ich zu schwach war. Ich hätte die Tür öffnen sollen, auch wenn sie heiß gewesen war, so heiß, und ich vom Rauch ohnmächtig geworden war.
    Ich blickte nach unten.
    Ich hatte Michaels Gesicht Schaden zugefügt, aber er heilte bereits. Blut war auf dem Mattenboden, an meinen Händen und tropfte von seinem Gesicht. Jeder Mensch wäre an seiner Stelle krankenhausreif gewesen.
    Ich merkte, dass er sich gar nicht wehrte.
    Leicht verdientes Geld.
    Ich holte zu einem weiteren Schlag aus und er zuckte nicht zusammen. Er sah auch nicht weg. Er sagte nur: »Es ist nicht deine Schuld, Mann. Du kannst nichts dafür.«
    Aus irgendeinem Grund war dies das Erste, was von all dem, das er gesagt hatte, auch wirklich bei mir ankam. Es war fast, als würde ich die Stimme meines Vaters wieder hören, der mir etwas versicherte, was ich jeden Tag unbedingt hören musste, seit Lyss aus unserem Leben verschwunden war.
    Dass es nicht meine Schuld war.
    Dass ich es nicht hätte verhindern können.
    Tatsache war, dass ich für das Feuer nichts konnte. Niemand hätte zu meiner Schwester gelangen und sie retten können.
    Aber das hier – das war meine Schuld.
    Ich setzte mich zurück und starrte auf ihn hinunter. Seine blauen Augen waren blutunterlaufen und flackerten rot, aber er würde mir gegenüber nicht den Vamp spielen, auch wenn ich ihn schwer verletzt hatte. Er würde es weiter einfach einstecken.
    »Es liegt an Glory«, sagte er. »Das weißt du, oder? Es ist nicht deine Schuld.«
    Glory. Ich sah mich um, aber ich entdeckte sie nirgends. Alles war nur noch ein Meer aus Gesichtern, schreienden Gesichtern, die sich nichts aus Michael oder mir machten, sondern nur auf ihr Vergnügen aus waren. Abgesehen von Eve, die auf der anderen Seite der Gitterstäbe so entsetzt aussah. Sie machte sich etwas aus uns. Wahrscheinlich viel zu viel.
    »Bishop ist hier«, sagte Michael. »Sie lassen ihn zu dir in den Käfig, wenn ich dich erst mal mürbe gemacht habe. Das kann ich nicht zulassen. Ich muss hier bei dir bleiben. Allein kann ihn keiner von uns überwältigen. Verstehst du? Wir müssen zusammenhalten, Shane.«
    Ich verstand. Ich hatte also recht gehabt – das hier war eine Art Albtraum, ein seltsamer Zauber, der jetzt jeden Moment zerplatzen konnte, und dann wäre alles wieder gut. Nichts von alldem war … real …
    Dann entdeckte ich Claire.
    Sie stand neben den Zuschauertribünen und Myrnin hielt sie am Arm fest, als würde er sie davon abhalten wollen, es wie Eve zu machen und zum Käfig zu rennen. Aber ich glaubte nicht, dass sie es versuchen würde. Genau wie ich war sie wie gelähmt, in ihrem Albtraum gefangen. Aus diesen dunklen Augen sah sie mich an. Sie sah mich und ich sah mich in diesen Augen: schwitzend, verletzt, brutal, zornig, grausam.
    Mir wurde ganz schlecht.
    Ich wälzte mich von Michael weg und rollte mich zu einer Kugel zusammen, das Gesicht Claire zugewandt, die mich anstarrte. Vielleicht waren es die Schmerzen in meiner Hand, die mich noch immer durchzuckten, vielleicht
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