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Birnbaeume bluehen weiß

Birnbaeume bluehen weiß

Titel: Birnbaeume bluehen weiß
Autoren: Gerbrand Bakker
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Daan sprang aus dem Taxi und legte sich auf die Brücke. Wir riefen ihn, als wir die Hintertür aufschlossen, aber er blieb liegen.
    Das grüne Lämpchen des Anrufbeantworters leuchtete zweimal schnell hintereinander.
    »Jan und Anna«, sagte Gerard. »Total vergessen.« Er drückte auf den Wiedergabeknopf. Das Band wurde zurückgespult.
    »Es ist jetzt zwei Uhr«, sagte Anna, ohne zu sagen, wer dran war, »und ihr seid immer noch nicht da. Ihr wolltet doch früh losfahren? Wo seid ihr? Ich habe schon eine Kanne Kaffee weggießen müssen, und Jan macht sich Sorgen.« Danach war es einen Moment still. »Von so einem Apparat hat man auch nichts, niemand sagt was, jetzt wissen wir noch immer nichts. Ich sage mal bis gleich.« Danach ertönte vier Mal das Besetztzeichen und dann wieder ein Pfeifton. »Jetzt ist es sieben Uhr«, sagte Anna, wieder ohne zu sagen, wer dran war, »und wir verstehen gar nichts mehr. Es ist etwas passiert, das muss fast so sein. Aber was? Warum ruft ihr nicht an? Sollen wir die Polizei anrufen? Oder dasKrankenhaus? Meldet euch bitte schnell, so haben wir keine Ruhe.« Im Hintergrund hörten wir Opas Stimme, die wir nicht verstehen konnten. »Jan fragt, ob ihr einen Unfall mit der alten Klapperkiste gehabt habt, aber so was will ich gar nicht denken.« Wieder war es eine Weile still, und wieder hörten wir Opa etwas sagen. »Jetzt weiß ich nichts mehr«, sagte Anna. »Ich lege auf und hoffe, dass ihr schnell anruft.«

    Wir setzten uns fast gleichzeitig zu dritt nebeneinander aufs Sofa.
    »Und jetzt?«, fragte Gerard. »Müssen wir nicht was machen, irgendwohin oder so?«
    »Ich bin krank«, sagte Klaas.
    »Ich auch«, sagte Kees. »Und ich habe einen gebrochenen Arm.«
    »Dann bin ich auch krank«, sagte Gerard. Danach nahm er das Telefon.

Küssen
    Harald drückte auf eine Tube. Mit der Fingerspitze seines Zeigefingers fing er einen Klacks Salbe auf. Er schmierte sie ganz vorsichtig auf die beiden Pickel auf Gersons Kinn und summte leise dabei. Eigentlich war es eher ein sehr leises Brummen. Leise und zufrieden. Statt seines silbernen Kreuzes hing an diesem Tag ein Fisch an seinem Ohrläppchen. Wenn uns nicht alles täuschte, war es ein Delfin.
    Es war zwei Tage später. Wir standen schon eine Weile in der Tür und beobachteten Harald und Gerson.
    »Ist er nicht ein wenig zu lieb?«, flüsterte Klaas.
    »Nein«, antwortete Kees. »Da sind wir wieder«, sagte er danach laut.
    »Da seid ihr ja wieder«, sagte Harald. Er wischte sich die Finger an seinem grünen T-Shirt ab und drehte die Tube wieder zu.
    Gerson sagte nichts. Er sagte schon seit drei Tagen nichts. Er hatte einen neuen Verband um den Kopf, einen kleineren, der breite Strähnen von seinem schwarzen Haar frei ließ. Jetzt noch Ohren, Stirn und Augen, und er war wieder unser Gerson.
    Harald zog die Nachttischschublade neben Gersons Bett auf und legte die Tube Salbe hinein. »Ich möchte euch was sagen«, meinte er. Er stand auf und stellte sich ans Fenster. Was immer er auch sagen würde, er würde uns den Rücken dabei zukehren. »Ihr müsst so viel wie möglich mit Gerson reden und ihn berühren. Es sind Fälle von Komapatienten bekannt, die doch irgendwie Kontakt zu den Menschen an ihrem Betthatten. Es scheint, dass allerlei Reize von außen ihnen helfen können, schneller aus dem Koma zu erwachen. Indem ihr mit Gerson redet und ihn anfasst, indem ihr was mit ihm macht, könnt ihr ihn vielleicht aus seinem Schlaf holen.« Er drehte sich um und sah uns an.
    »Was sollen wir denn sagen?«, fragte Kees, ziemlich idiotisch, wie wir später fanden.
    »Das ist egal. Es geht um das Reden. Ihr müsst ihm das Gefühl geben, dass er noch da ist, dass er am Leben teilnimmt, dass er in dieses Leben zurückkehren muss. Am besten so schnell wie möglich.«

    Da saßen wir dann, jeder an einer Seite vom Bett. Wir dachten beide daran, wie Gerson Daan pausenlos bequasselt hatte. Damals, als Mutter wegging und er nicht aufhörte zu jaulen. Jetzt mussten wir pausenlos quasseln. Viel reden, damit haben wir keine Probleme. Haben wir auch nie gehabt, dafür hatten wir einander ja immer. Aber jetzt, wo Harald uns mehr oder weniger beauftragt hatte zu reden, saßen wir sprachlos da und mit schwerer Zunge. Wie wenn man in einem vollen Raum ein Gedicht vortragen muss, kurz nachdem jemand gerufen hat: »Ruhe bitte! Klaas oder Kees, sagt jetzt ein Gedicht auf!« Dann kann es passieren, dass man durch die plötzliche Stille und Aufmerksamkeit keinen Ton mehr
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