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Billard um halbzehn

Billard um halbzehn

Titel: Billard um halbzehn
Autoren: Heinrich Böll
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    Seufzend schraubte sie die Flasche mit dem Putzmittel zu, faltete den Lappen; immer noch stampften die
    Druckereimaschinen, druckten unerbittlich Erbauliches auf
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    weißes Papier, immer noch blutete der Keiler. Lehrjungen, Lastwagen, Nonnen: Leben auf der Straße.
    Auf dem Schreibtisch die rote Karte; seine makellose Architektenschrift: ›... für niemanden sonst‹. Die Telefonnummer, die sie mühsam, in langweiligen Stunden, über ihre Neugier errötend, identifiziert hatte: ›Hotel Prinz Heinrich‹.
    Der Name hatte ihrer Witterung neue Nahrung gegeben: was tat er morgens zwischen halb zehn und elf im Hotel Prinz Heinrich?
    Eisige Stimme am Telefon: ›Dummes Stück‹. Hatte er wirklich nicht ›bitte‹ dazu gesagt? Der Stilbruch stimmte sie hoffnungsvoll, tröstete sie über die Arbeit, die auch ein Automat hätte ausführen können.
    Zwei Musterbriefe, die in vier Jahren nicht geändert worden waren, die sie schon in den Durchschlägen ihrer Vorgängerin entdeckt hatte; einen für die Kunden, die Aufträge erteilen: ›...
    danken wir Ihnen für Ihr Vertrauen, das wir durch rasche und korrekte Erledigung des Auftrages rechtfertigen werden.
    Hochachtungsvoll‹; der zweite Brief, der zu schreiben war, wenn sie die statischen Unterlagen an die Kunden
    zurückschickte: ›Anbei die gewünschten Unterlagen für das Bauvorhaben X. Das Honorar in Höhe von Y bitten wir auf unser Bankkonto zu überweisen. Hochachtungsvoll.‹ Blieben freilich für sie gewisse Variationen; für X hatte sie einzusetzen: Haus für einen Verleger am Waldrand, Haus für einen Lehrer am Flußufer, Bahnüberführung Hollebenstraße. Für Y das Honorar, das sie nach einem einfachen Schlüssel selbst errechnen mußte.
    Blieb noch der Briefverkehr mit seinen drei Mitarbeitern: Kanders, Schrit und Hochbret. Denen mußte sie die Aufträge in der Reihenfolge ihres Eintreffens zuschicken. »Damit«, so hatte Fähmel gesagt, »die Gerechtigkeit ihren automatischen Verlauf nimmt und das Glück eine repräsentative Chance hat.« Kamen die Unterlagen zurück, mußte das, was Kanders errechnet hatte, Schrit; was Hochbret errechnet hatte, Kanders; was Schrit
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    errechnet hatte, Hochbret zur Überprüfung zugeschickt werden.
    Karteien waren zu führen, Spesenrechnungen zu buchen, Zeichnungen zu fotokopieren und vo n jedem Bauvorhaben eine Fotokopie in doppelter Postkartengröße für sein Privatarchiv herzustellen; - aber die meiste Arbeit bestand im Frankieren: immer wieder die Rückseite des grünen, des roten, des blauen Heuss übers Schwämmchen gezogen, die Marke sauber in die rechte obere Ecke des gelben Umschlags geklebt; sie empfand es schon als Abwechslung, wenn mal ein brauner, ein violetter, ein gelber Heuss darunter war.
    Fähmel hatte sich zum Prinzip gemacht, nie länger als eine Stunde pro Tag im Büro zu verbringen; er schrieb seinen Namen unters Hochachtungsvoll, unter Honoraranweisungen. Kamen mehr Aufträge, als er in einer Stunde hätte bewältigen können, lehnte er die Annahme ab. Für diese Fälle gab es
    hektographierte Zettel mit dem Text: ›Infolge
    Arbeitsüberlastung sehen wir uns leider gezwungen, auf Ihren geschätzten Auftrag zu verzichten. Gez. F.‹
    Nicht ein einziges Mal, wenn sie ihm morgens zwischen halb neun und halb zehn gegenübersaß, hatte sie ihn bei intimen menschlichen Verrichtungen gesehen; beim Essen, Trinken; niemals einen Schnupfen an ihm bemerkt; errötend dachte sie an intimere Dinge als diese; daß er rauchte, war kein Ersatz für das Vermißte: zu makellos war die schneeweiße Zigarette, nur die Asche, die Stummel im Aschenbecher trösteten sie: das war wenigstens Abfall, bewies, daß Verbrauch stattgefunden hatte.
    Sie hatte schon bei gewaltigen Chefs gearbeitet, Männern, deren Schreibtische wie Kommandobrücken waren, deren
    Physiognomie Furcht einflößte, doch selbst diese Großen hatten irgendwann einmal eine Tasse Tee, einen Kaffee getrunken, ein belegtes Brot gegessen, und der Anblick essender und trinkender Gewaltiger hatte sie immer in Erregung versetzt: da krümelte Brot, blieben Wurstpellen übrig und speckige Schinkenränder, mußten Hände gewaschen, Taschentücher gezogen werden.
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    Versöhnliches zeigte sich hinter Stirnen aus Granit, die über ganze Armeen befahlen, Münder wurden in Gesichtern abgewischt, die einstmals, in Bronze gegossen, auf Denkmalsockeln späteren Geschlechtern von ihrer Größe künden würden. Fähmel,
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