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Big Bad City

Big Bad City

Titel: Big Bad City
Autoren: Ed McBain
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Roselli glaubten entweder, sie wären klüger als die Polizei, oder ihre Schuldgefühle machten ihnen dermaßen zu schaffen, daß sie alles nur noch loswerden wollten. Carella wartete. Roselli nickte. Ja, er hatte seine Rechte verstanden und war bereit, Fragen zu beantworten, ohne einen Anwalt hinzuzuziehen. Carella brauchte aber laut und deutlich seine Einwilligung.
    »Dann kann ich also fortfahren, Mr. Roselli?«
    »Ja.«
    Jetzt war Schluß mit Sal. Jetzt waren sie gleichberechtigt. Mr. Roselli und Mr. Carella, zwei alte Freunde, die bei strahlendem Sonnenschein an einem runden Tisch unter freiem Himmel saßen, Cappuccino schlürften und sich über Politik unterhielten. Aber das Licht kam von einer Neonröhre, der Tisch war viereckig und wies zahlreiche Brandflecke von Zigaretten auf, und der Kaffee wurde im Schreibzimmer gekocht und in Pappbechern gebracht, und es ging nicht um Politik, sondern um Mord.
    »Wollen Sie mir erzählen, was passiert ist, Mr. Roselli?«
    Roselli saß da, betrachtete seine Hände.
    »Mr. Roselli?«
    »Ja.«
    »Wollen Sie es mir erzählen?«
    »Ja.«
    Carella wartete.
    »Ich habe sie zufällig gesehen.«
    »Katie?«
    »Ja.«
    »Katie Cochran?«
    »Ja. Ich hatte sie seit vier Jahren nicht mehr gesehen, sie hatte sich stark verändert.« Er verstummte, erinnerte sich.
    »Früher sah sie aus wie ein Teenager«, sagte er. »Jetzt sah sie aus… Ich weiß nicht. Gereift?« Er fing wieder an zu weinen.
    Carella schob eine Schachtel mit Papiertüchern näher zu Roselli heran. Die Tränen strömten sein Gesicht hinab. Carella wartete. Abgesehen von Rosellis Schluchzen und dem leisen Surren der Videokamera war es völlig still im Raum. Carella fragte sich, ob er es riskieren konnte, ihn etwas zu drängen.
    »Wo sind Sie ihr begegnet?« fragte er.
    Sanft. Behutsam. Beiläufig. Zwei Gentlemen, die an ihrem Kaffee nippten. Sonnenschein leuchtete auf weißem Leinen.
    »Mr. Roselli?«
    »Im St. Margareta.«
    Er nahm noch ein Tuch aus der Schachtel, putzte sich die Nase. Trocknete seine Augen.
    »Dem Krankenhaus«, sagte er und putzte sich erneut die Nase. Er seufzte schwer. Carella hoffte, daß er nicht dichtmachen würde. Aufhören. Das war’s. Keine weiteren Fragen. Er wartete.
    »Ich dachte, ein Freund von mir hätte einen Herzinfarkt, ich habe ihn in die Notaufnahme gebracht«, sagte Roselli. »Es stellte sich raus, daß er okay war, aber mein Gott, sein Gesicht war ganz blau angelaufen! Katie spazierte einfach an mir vorbei, ich konnte es nicht fassen. Ich kümmerte mich um meinen Freund, ich dachte, er würde sterben. Dann sehe ich diese Frau, die wie Katie aussieht, aber auch wieder nicht. Ich meine, Sie hätten Katie damals kennen müssen. Als sie noch gesungen hat. Eine Million Volt, das schwöre ich Ihnen. Diese Frau sah so … keine Ahnung … so gelassen aus? Sie kam in die Notaufnahme. Direkt aus der Vergangenheit. Gefaßt. Sie blieb stehen, sprach ein paar Worte mit einer Schwester, und wusch, war sie wieder zur Tür hinaus und weg. Ich fragte die Schwester, wer das gewesen sei. Sie sagte: Das ist Schwester Mary Vincent. Was? sagte ich. Schwester Mary Vincent, wiederholte sie. Eine Nonne. Arbeitet oben in der Intensivpflege. Schwester Mary Vincent? dachte ich. Eine Nonne? Ich dachte, ich hätte mich geirrt.«
    Er schüttelte den Kopf, erinnerte sich, erinnerte sich.
    Carella schaute zu der Videokamera hinaus. Das rote Lämpchen brannte noch. Das Band lief noch. Laß mich jetzt nicht im Stich, dachte er. Erzähl weiter, Sal.
    »Ich ging noch einmal hin. Ich mußte mich vergewissern, daß das nicht Katie war. Denn wenn sie es war, wollte ich mit ihr über diese Nacht vor vier Jahren sprechen. Genau, wie man als Kind seine Mutter nach etwas fragt, verstehen Sie? Ich wollte Katie fragen, was in dieser Nacht passiert ist. Wollte mich vergewissern, daß es wirklich passiert ist. Das mit Charlie Custer. Als wir ihn umgebracht haben.«
    Carella kam in den Sinn, daß nur einer Custer umgebracht hatte, und zwar Roselli. Er war derjenige, der ihn über das Geländer und in den Tod gestoßen hatte. Ja, formaljuristisch waren sie gemeinschaftlich vorgegangen, Katie hatte ihn mit der Flasche geschlagen, Roselli hatte ihn den Alligatoren zum Fraß vorgeworfen. Und ja, formaljuristisch konnte der Staatsanwalt beide anklagen. Aber Katie hatte ihn nicht vorsätzlich töten wollen, und Roselli hatte in Selbstverteidigung gehandelt. Genauso würde ein Strafverteidiger argumentieren, und er hatte damit nicht
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