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Befreiung der Gesellschaft vom Staat. Was ist kommunistischer Anarchismus?, Die

Titel: Befreiung der Gesellschaft vom Staat. Was ist kommunistischer Anarchismus?, Die
Autoren: Erich Mühsam
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erschöpft, wenn ich mein Leben allein in meinen literarischen Leistungen charakterisiert sähe. Aber ich betrachte meine schriftstellerische Arbeit, vor allem meine dichterischen Erzeugnisse, nur als das Archiv meiner seelischen Erlebnisse, als Teilausdruck meines Temperaments. Das Temperament eines Menschen ist die Summe der Stimmungen, die Hirn und Herz von den Ausströmungen der Umwelt empfangen. Das meinige ist revolutionär. Mein Werdegang und meine Lebenstätigkeit wurden bestimmt von dem Widerstand, den ich von Kindheit an den Einflüssen entgegensetzte, die sich mir in Erziehung und Entwicklung im privaten und gesellschaftlichen Leben aufzudrängen suchten. Die Abwehr dieser Einflüsse war von jeher der Inhalt meiner Arbeit und meiner Bestrebungen.
    Im Staat erkannte ich früh das Instrument zur Konservierung all der Kräfte, aus denen die Unbilligkeit der gesellschaftlichen Einrichtungen erwachsen ist. Die Bekämpfung des Staates in seinen wesentlichen Erscheinungsformen, Kapitalismus, Imperialismus, Militarismus, Klassenherrschaft, Zweckjustiz und Unterdrückung in jeder Gestalt, war und ist der Impuls meines öffentlichen Wirkens. Ich war Anarchist, ehe ich wußte, was Anarchismus ist; ich war Sozialist und Kommunist, als ich anfing, die Ursprünge der Ungerechtigkeit im sozialen Betriebe zu begreifen. Die Klärung meiner Ansichten verdanke ich meinem Freunde Gustav Landauer; er war mein Lehrer, bis ihn die weißen Garden ermordeten, die eine sozialdemokratische Regierung zur Niederzwingung der Revolution nach Bayern gerufen hatte.
    Meine revolutionäre Tätigkeit hat mich oft mit den Staatsgewalten in Konflikt gebracht. So stand ich 1910 vor Gericht wegen des Versuches, das sogenannte Lumpenproletariat zu sozialistischem Bewußtsein heranzuziehen … Während des Krieges stand ich in den Reihen der Opposition gegen die Lenker derdeutschen Schicksale … Wegen der Weigerung, eine Arbeit im vaterländischen Hilfsdienst anzunehmen, wurde ich Anfang 1918 nach Traunstein in Zwangsaufenthalt geschickt, wo ich bis zur Auflösung der »Großen Zeit« in Niederlage und Zerfall blieb.
    Selbstverständlich fand mich die Revolution von der ersten Stunde aktiv auf dem Posten … Mitglied des Revolutionären Arbeiterrats … Kampf gegen die Konzessionspolitik Kurt Eisners … Teilnahme an der Ausrufung der bayerischen Räterepublik … Standgericht: fünfzehn Jahre Festung …
    II. Nachtrag vom Dezember 1920 (Festung Niederschönenfeld)
    Diese Sätze schrieb ich vor einem Jahre in der Festungsanstalt Ansbach. Inzwischen hat sich in mir nichts, außer mir viel geändert …
    Als Ertrag des letzten Jahres sind meinem Lebenslauf nur ein paar Daten hinzuzufügen. Vom März bis zum Mai mußte ich zwei Monate im Ansbacher Landgerichtsgefängnis zubringen, weil ich einen bayerischen Minister beleidigt hatte. Ich benutzte die Abwechslung, um zwei Bücher zu schreiben: Eine Streitschrift »Die Einigung des revolutionären Proletariats« und das Bühnenwerk »Judas. Ein Arbeiterdrama«. Im ersten habe ich mich um den Nachweis bemüht, daß … sämtlichen Parteiprogrammen die Parole zur kommunistischen Föderation aller wahrhaft revolutionären Korporationen und Individuen gegenüberzustellen sei. Das Drama unternimmt es, »Proletkult« unter dem Gesichtspunkt zu schaffen, der die Schaubühne als revolutionäragitatorische Anstalt betrachtet wissen will. Der Proletarier soll im Theater keine Symbolik enträtseln und keine Kunstsprache in seine Prosa übersetzen. Der Arbeiterdichter hat weder die Aufgabe, das Proletariat zu sich hinaufzuziehen, noch sich zu ihm herabzulassen. Er ist kein Dichter des Proletariats, sofern er sich nicht selbst als Angehöriger des Proletariats von Natur wegen erkennt. Der Hirnarbeiter ist nichts Besseres als der Handarbeiter. Wer sich selbst den Charakter eines »Intellektuellen« gibt, versucht, sich über das Proletariat zu erhöhen. Ist mir mit »Judas« ein Zeitstück gelungen, das Wissen und Gefühl des Proletariats in seiner Sprache und in seinem Gedankenkreis bewegt und von proletarischen Herzen erfaßt wird, so ist das Stück gut, auch wenn alle literarische Kritik es verdammen sollte. Mit gesprochenen Opern, mit Mosaikszenerie, mit expressionistischem Gelall dient das Theater allenfalls dem Modernitätsbedürfnis der Bourgeoisie, aber nicht dem Drang des Proletariats, aus Kunst erhöhtes Erleben zu ziehen. Dieser Drang wird befriedigt durch Verständlichkeit im Wort, durch Abwandlung
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