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Barins Dreieck

Barins Dreieck

Titel: Barins Dreieck
Autoren: Hakan Nesser
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die Sonne später noch durchbrach. Ein paar Grade kälter war es auch, und es wehte ein frischerer Wind. Nach dem Frühstück ging ich hinaus. Ich folgte dem Weg in die andere Richtung, den Berg hinauf. Er verfolgte weiter die gleiche beharrliche, verschlungene Steigung, Kurve um Kurve, Hügel um Hügel, bis er plötzlich oben auf einer Lichtung im Wald aufhörte. Büsche und Gestrüpp wuchsen mannshoch, aber dennoch ging ich vom Weg ab und begutachtete die Gegend. Bald stieß ich auf Reste einer alten Hausruine. Als ich hier und da den Schneematsch wegkratzte, konnte ich sehen, dass hier ein Haus ungefähr von gleicher Art wie das Hellerssche gestanden haben musste. Vor einer unbekannten Anzahl von Jahren.
    Vielleicht abgebrannt, dachte ich. Ja, bestimmt hatte das Feuer es vernichtet ... ein Blitzschlag, es war hoch gelegen, soweit ich es beurteilen konnte, hatte die Steigung hier ihr Ende. Ich befand mich im Großen und Ganzen auf der obersten Höhe. In alle Himmelsrichtungen hin fiel die Landschaft um mich herum ab.
    In alle Himmelsrichtungen.
    Ich blieb stehen, rauchte ein Zigarette, bevor ich mich an den Abstieg machte. Ein paar Rehe tauchten am Waldrand auf, nahmen Witterung auf und verschwanden gleich wieder. Ich überlegte, wie oft sich hier wohl ein Mensch befand, an dieser Stelle. Wie lange es her war, dass jemand hier gewohnt hatte. Gab es überhaupt noch einen lebenden Menschen, der seine Wanderung auf dieser Welt eben hier begonnen hatte?
    Ich spürte, wie ich anfing zu frieren, und ärgerte mich, dass ich die Cognacflasche zu Hause gelassen hatte.
     
    Den Nachmittag verbrachte ich größtenteils mit dem Brief. Er wurde nicht besonders lang, gut eine Seite, aber ich zögerte lange, bevor ich einige der Formulierungen dann doch benutzte. Wog die Worte ab und war überhaupt sehr genau mit meiner Ausdrucksweise. Ich denke schon, dass es mir insgesamt gelungen ist, die Balance zwischen Schärfe und Zweideutigkeit, die ich anstrebte, auch zu erreichen.
    Was natürlich eine Voraussetzung ist.
    Ein außenstehender Leser soll nicht ahnen können, worum es geht. Ein eingeweihter umso mehr.
    So wird es wohl auch einem Teil von Ihnen gehen, wie ich mal vermute.
    Ich werde ihn morgen im Ort einstecken.
     
    Bevor ich mit der Aufzeichnung für heute begann, hatte ich einige Stunden damit verbracht, auf dem Tisch im großen Zimmer Patience zu legen – ich fand zwei Spiele in einer der Schreibtischschubladen.
    Ich saß also am Tisch. Nur mit dem Feuer im Kamin und einer Kerze als Abwehr gegen die Dunkelheit ...
    Und Cognac und Zigaretten.
    Ich habe früher über einige Partien gelesen.
    Sie fielen mir wieder ein, und ich dachte darüber nach. In gewisser Weise ist ja alles nur zu deutlich, am allerdeutlichsten vielleicht dann, wenn ich gar nicht erst versuche, es zu verstehen. Ich wünschte mir, ich hätte den Rimley dabei, um in ihm zu blättern, aber ich weiß wirklich nicht, wo ich ihn gelassen habe. Irgendwo in Weigan muss es wohl gewesen sein.
    Außerdem spüre ich, dass ich meine fiktiven Leser immer mehr übergehe. In gewisser Weise scheinen Sie Ihre Rolle ausgespielt zu haben, aber ich möchte Sie natürlich nicht für immer und ewig abschreiben. Es ist nicht leicht zu sagen, welche Bedürfnisse in den Tagen, die noch bleiben, entstehen können.
    Aber natürlich habe ich die Kontrolle.

    28

    Spieleröffnung

    Im Postamt, am Montag.
    »Ja, Lorenz Piirs.«
    Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Trotz allem war ich leicht beunruhigt gewesen, dass er meinen Wünschen nicht hätte nachgehen können.
    »Hier ist Marr. Danke, dass Sie dran sind.«
    »Keine Ursache. Warum kommen Sie nicht stattdessen her? Sie haben einen Termin versäumt.«
    »Ich bin weggefahren.«
    »Weggefahren?«
    »Ja.«
    »Arbeiten Sie nicht?«
    »Im Augenblick nicht.«
    Kurze Pause. Verwunderung in der Luft.
    »Nun? Was haben Sie auf dem Herzen?«
    Ich erklärte die Situation. Dass ich mich momentan an einem anderen Ort befand. Dass es mir gut ging, dass ich aus einem besonderen Grund anrief – ich war wieder von einer Erinnerungslücke befallen worden, noch einer, und die schien offenbar mit meinem letzten Besuch zusammenzufallen ...
    »Am Dienstagabend?«
    »Ja.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Natürlich bin ich mir sicher.«
    »Ja, so ... ja, natürlich.«
    Für einen Augenblick schien es, als wäre er aus der Fassung gebracht worden.
    »Ich möchte gern wissen, worüber wir geredet haben.«
    »Worüber wir geredet
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