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Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition)
Autoren: Esther Kinsky
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Bedeutungslosigkeit versauerten und verdorrten, zu Unkraut geworden waren, dem rasenden Unkraut dieses Bodens, rotstängelig und lanzenblättrig, das auch im Laufe dieses Sommer wiederkommen und gegen Herbst schwarze, glänzende Beeren treiben würde, die nicht einmal die Vögel wollten.
    Schweiß floss Attila über Gesicht, Nacken, Schultern und Arme. Die Augen hatte er zusammengekniffen, der Schweiß hing in den Bartstoppeln, sein Gesicht war vor Anstrengung eckig wie ein Schild, mit einer großen Leere um die Augen.
    Heute Abend komme ich zu dir, sagte Attila in der weißen Sonne hinter seinem Schild hervor, er schaufelte dabei weiter und ruckte den Kopf, um die Fliegen von seinem verschwitzten Nacken zu schütteln.
    Ich saß auf der Veranda und wartete auf Attila, Abend war eine ungewisse Tageszeit. An Schlechtwettertagen wünschte man sich hier nach dem Mittagessen eine gute Nacht. Abend hieß: nach der Arbeit, in einem Leben von Ziegel zu Ziegel, von Hammer zu Säge und Schaufel zu Hacke, einem Leben der kleinen Messbarkeiten. Am Nachmittag zogen Wolken heran, alle Schatten lösten sich auf, die Wolken zogen davon, der Himmel wurde durchsichtig, grünblau, fern. Die hohen Mohnblumen in meinem Garten ließen alle anderen Blumen klein und unscheinbar werden. Mákvirág , dachte ich, und Pipacs , die Mohnblumen hatten aufgehört Mohnblumen zu sein, denn ich war in der Fremde der Worte angelangt, hatte darin Platz genommen, saß auf einer Bank, die keine Bank war und meine Finger strichen über ein Tuch, das kein Tuch war, ich wusste nicht, wie es hieß, nicht einmal die Farben darauf hätte ich zu bezeichnen gewusst, denn das Wort, das hier für mein dunkles Rot galt, war ein leerer Fleck. Ach, die rotweißkarierte Decke, so dachte ich früher, wenn ich die Decke entfaltete und ausbreitete und eine Vase mit Blumen darauf stellte, doch jetzt dachte ich nichts, und jeder Gedanke darüber, ob der Name die Dinge ins Sein ruft oder ob das Benennen und Aussprechen der Namen nur das Hineinziehen der bestehenden Dinge in die Existenz des Einzelnen ist, eine Art Bebilderung des Daseins, jeder solche Gedanke ermüdete mich, denn ich gewöhnte mich an die Un-Sprache, an die Attilasprache der beiläufigen Worte, eines Zierrats um die Sprache der Gebärden und Blicke.
    Die buckligen Geschwister schlichen durch ihr Kartoffelfeld und legten die Schläuche aus, um das Feld zu wässern, die Schwester schaute zu, wie der Bruder die Pumpe betätigte. Nachtschattengewächs dachte ich, das war ein Wort, das mein Vater mich lehrte, an einem Winterabend, als der Mond ins Fenster des Kinderzimmers schien, und der Geruch nach Kohlenrauch und Nebel durch alle Ritzen drang, und seither erschien mir bei diesem Wort ein Tier.
    Attila kam und brachte mir eine Blume mit. Sie hatte dicke fleischige Blätter und kleine orangefarbene Blüten. Wie heißt diese Blume?, fragte ich.
    Ich weiß es nicht, sagte er, es ist einfach eine Blume.
    Wir tranken den sauren Wein von Nachbar Todor. Der Wein war leicht und ein wenig bitter, zu beiden Seiten der Blume und der Weinflasche schwiegen wir in den heraufziehenden Abend.
    Bald bekommt meine Ziege wieder Junge, sagte Attila schließlich.
    Und dann?, fragte ich. Werden sie im Winter geschlachtet?
    Attila zuckte mit den Schultern.
    Schneidest du ihnen die Kehle durch?, fragte ich, und ich fühlte, wie ich mit der Hand eine Bewegung machte, die ich noch nie gemacht hatte, ein Vorbeiziehen der flachgestreckten Hand an meiner Kehle, bei dem ich den Kopf leicht vorreckte, eine Geste, wie ich sie in Filmen gesehen hatte, und vor vielen Jahren einmal durch die Staubwolken eines Hitzewinds, in einer Gruppe gebrechlicher Bettler am verlassenen Bahnhof von Copsa Mica in Rumänien, vor dem Hintergrund der Berge.
    Nein, sagte Attila, der Schlächter kommt, a hentes , ein Wort, das aufdringlich an Henker denken ließ.
    Im Kinogarten singt ein Vogel wie an dem Ort, aus dem ich komme, sagte Attila. Wie daheim.
    Daheim, dachte ich, was für ein Wort. Ein Wort wie ein Schrank, den man auf- und zumachen kann. Ein Schrankwort, in dem das gefaltete Leben liegt. Kannst du das bitte wegfalten, sagte mein Großmutter früher beim Aufräumen und gab mir ein Tuch oder ein Hemd in die Hand.
    Ich setze mich in den Schatten und höre dem Vogel zu, dann höre ich die Hunde nicht mehr, sagte Attila. Dann ist alles nur noch in mir. Dafür braucht man keine Worte.
    Jeden Tag erwartete man ein Gewitter. Es donnerte von fern, Wolkenschatten
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