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Bambule am Boul Mich

Bambule am Boul Mich

Titel: Bambule am Boul Mich
Autoren: Léo Malet
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Archiv die letzte
Nummer von Allô Paris raus und fing an zu blättern. Ich suchte eine Werbeanzeige
des Cabarets. Da war’s auch schon:
     
    CHEZ
COLIN DES CAYEUX
    Historisches
Cabaret
    Rue
des Grands-Degrés
    (Nähe
Notre-Dame)
    Moderne
Atmosphäre im Rahmen des 15. Jahrhunderts
    Lieder
von Gestern und Heute
    Folklore
aus dem Quartier Latin
    Attraktionen
aus dem Mittelalter
    Der
urwüchsige Hausherr
    JEHAN
DE MONTGIBET
    empfängt
seine Gäste und stellt das Programm vor.
     
    Ich zündete meine Pfeife wieder
an und sah auf die Uhr. Noch etwas mehr als eine Runde um das Zifferblatt. Dann
würde ich wissen, ob der Mund, der diese melodischen und verwirrenden Töne von
sich gab, tatsächlich das hielt, was er versprach. Und wenn der Rest dazu
paßte...
    So lange brauchte ich gar nicht
zu warten. Als ich gegen drei Uhr nachmittags aus dem Restaurant ins Büro
zurückkam, sah ich einige Stufen vor mir zwei sehr hübsche Beine in feinen
Nylonstrümpfen mit gerader Naht die Treppe hochgehen. Die Beine steckten in
blauen Schuhen mit ziemlich hohen Absätzen und endeten in einem weiten grauen
Rock, der wiederum aus einem hellbeigen Dufflecoat hervorlugte. Mir stieg ein
verlockendes Parfüm in die Nase. Die Beine blieben in meiner Etage stehen,
direkt vor meiner Tür. Eine behandschuhte Hand näherte sich dem Klingelknopf.
    „Nicht nötig“, sagte ich. „Im
Augenblick ist niemand da. Aber ich hab den Schlüssel.“
    Dazu klimperte ich mit dem
Schlüsselbund. Überrascht drehte sie sich um, ein ganz klein bißchen
erschrocken. Unter der Kapuze schauten blonde Haare hervor. Sie umrahmten ein
reizvolles Gesichtchen, das durch den leicht traurigen Ausdruck nur noch
reizvoller wurde. Mein Besuch war etwas überdurchschnittlich groß, hielt sich
gerade wie eine 1, elegant, mit hohen Backenknochen, blauen Augen und langen
Wimpern, einem etwas großen Mund, sinnlichen Lippen, natürlich gut geformt und
künstlich aufpoliert mit einem rosa Lippenstift. Wahlberechtigt war sie
bestimmt noch nicht lange.
    „Oh!“ hauchte sie mit einem
matten Lächeln. „Sind Sie der Detektiv Nestor Burma?“
    Ich zog den Hut.
    „Persönlich. Und Sie sind doch
sicher Jacqueline Cartier? Ich erkenne Sie an Ihrer Stimme, Mademoiselle.“
    Sie nahm ihre Kollegmappe aus
der rechten in die linke Hand.
    „Carrier“, verbesserte sie
mich.
    „Carrier, ja. Wie das
Konventsmitglied. Entschuldigen Sie, daß ich Ihren Namen verdreht habe.“
    Ich öffnete die Tür, bat sie in
mein gemütlich warmes Büro und bot ihr einen Stuhl an. Dann zog ich mir erst
mal den Mantel aus. Sie legte ihre Mappe auf den Stuhl, streifte dann anmutig
ihre Handschuhe ab, langsam, vielleicht ein wenig zu einstudiert, schlug ihre
Kapuze nach hinten und bauschte ihr Haar zurecht . Dann
knöpfte sie ihren Dufflecoat auf. Darunter trug sie diesen grauen Rock und
einen blauen Rollkragenpullover, der einem mehr als
eine Ahnung von den erregenden Brüsten allererster Wahl vermittelte. Ein
breiter Ledergürtel machte ihre ohnehin schon schmale Taille noch schmaler.
Endlich setzte sie sich und zog ihren Rock über die Knie, denn durch die
Bewegung hatte sich die Spitze ihres lila Unterrocks vorwitzig gezeigt.
Trotzdem benahm sich das Mädchen überhaupt nicht herausfordernd. Sie war, wie
sie war, und so mußte man sie nehmen. Sie konnte sich doch nicht die Brüste
abschnüren, nur weil sie so frech wirkten. Genausowenig konnte sie sich auf
ihre formvollendeten Beine Krampfadern malen, um niemanden neidisch zu machen.
Sie war einfach nur ein niedliches kleines Ding, das man am liebsten beschützt
und getröstet hätte, lieber als andere, auch leichter als andere... wenn sie
irgendwie Kummer gehabt hätte. Und offensichtlich hatte sie welchen.
    „Also haben Sie sich nach
unserem Telefongespräch doch noch anders entschieden“, begann ich. „Oder ist es
so wichtig, daß Sie nicht mehr bis heute nacht warten konnten?“
    Sie lächelte dasselbe Lächeln,
von dem sie mir schon eben eine Kostprobe gegeben hatte. Dieses gewisse
Lächeln, traurig und nett.
    „Entschuldigen Sie“, sagte sie
dann. „Ich hab Ihnen etwas vorgespielt. Hoffentlich sind Sie mir deswegen nicht
böse.“
    „Überhaupt nicht.“
    Wenn man allen jungen Mädchen
böse sein sollte, die einem was Vorspielen — und nicht zu knapp — , dann käme man zu nichts anderem mehr.
    „Danke. Ich wollte Sie... auf
die Probe stellen“, versuchte sie zu erklären und wurde rot. „Ich wollte
wissen, ob ich Ihnen vertrauen
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