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Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Bacons Finsternis: Roman (German Edition)
Autoren: Wilfried Steiner
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Foto von ihr abgedruckt, auf dem sie aussah wie Sigourney Weaver. Seither nannten ihre Freunde sie Ripley. Ich auch, gelegentlich. Für mich hatte sie allerdings immer schon ausgesehen wie Sigourney Weaver, nur schöner.
    Isabel erhielt Lehraufträge an Filmakademien, wurde interviewt, wann immer es um Entsetzen ging, schrieb Kritiken zu allen Filmen, in denen irgendein Element auftauchte, das den altvorderen Cineasten nicht ganz geheuer war. Ihr größter Stolz war eine nahezu regelmäßige Kolumne in einer Hamburger Wochenzeitung. Ihre Freunde wurden jünger und dandyhafter, Sonnenbrillen in stockdunkler Nacht, Lederjacken bei Bruthitze; ich wurde mitgeschleppt zu überfüllten Splatterabenden bei Carpaccio, Blutwurst und Sashimi. Wir saßen auf plüschbezogenen Sofas in Videotheken, in die sich tagsüber kein Schwein verirrte.
    Ich mochte ihre neuen Freunde ganz gern. Vor allem aber mochte ich es, wenn sie zu Hause war. Mir ihre Filme vorführte, mir ganz allein. Eine Hand verirrte sich immer wieder zu mir, die andere gehörte der Fernbedienung. Zwanzigmal konnte sie manche Szenen zurücklaufen lassen, um mir ein bestimmtes Detail aus The Thing oder Braindead zu erklären. Es gab Momente, da verhalf uns das Grauen auf dem Bildschirm zu wohligen Schauern. Zwei Teenager im Horrorkino, aneinandergeschmiegt, dem Verbotenen hingegeben. Nur die Tüte Popcorn ersetzten wir durch die Ergebnisse meiner Küchenambitionen, das große Cola durch eine Flasche Bordeaux oder Chardonnay. In Elephant Man von David Lynch, einem von Ripleys Lieblingsfilmen, gab es eine Szene, in der John Merrick, das deformierte Wesen, vom Mob durch einen U-Bahn-Schacht gejagt und in einem Pissoir in die Ecke gedrängt wird. Als alle Fluchtwege von der Meute versperrt sind, öffnet der Elefantenmensch sein Maul und schreit: »Ich bin kein Tier! Ich bin ein menschliches Wesen!« Überwältigt von Mitgefühl, rückten wir noch ein wenig näher zusammen. Wenn am Ende John Merricks Tod als Seelenreise durch den Sternenhimmel über den Bildschirm flimmerte, konnte es vorkommen, dass unsere Positionen auf dem Sofa schon ziemlich durcheinandergeraten waren. Danach wurde oft auch noch mein Geist verwöhnt – mit einem kleinen Vortrag über die Bloßstellung bürgerlicher Heuchelei im Werk David Lynchs zum Beispiel.
    Keine Ahnung, was an solchen Abenden spießig sein sollte.

 
    Drei
     
    Das Antiquariat Maldoror war zweigeteilt, vorne betrieb ich meine Verkaufsgespräche mit allerlei geistreichen Müßiggängern über den Wert von nicht ganz echten Erstausgaben der Duineser Elegien oder die Editionsgeschichte der Leaves of Grass , hinten saß Maia im Kosmos ihrer Kunstbände und verdiente unser Geld. Oder besser: Sie sorgte dafür, dass mein durch Lungenkrebs ererbtes Kapital sich nicht verflüchtigte. Arthur, pflegte Maia zu sagen, versprich mir, dass du nie wieder anfängst zu rauchen. Das bist du ihm schuldig. Mein Vater allerdings hatte selbst im Endstadium, mit einer Plastikkanüle durch den Hals, eine heimlich gerauchte Camel einem Diskurs über die Gefährlichkeit des Nikotinmissbrauchs vorgezogen. Erstickt war er aber jämmerlich, keine Frage. Was er mir hinterließ, reichte für ein Geschäftslokal in der Margaretenstraße.
    Für die Bewirtung sorgte ich selbst. Es gab eine Art Küchennische zwischen unseren Bereichen, mit einem kleinen Herd, einer Espressomaschine, einem englischen Teekocher und einem Weinregal mit viel zu warm gelagerten Burgenländer Cuvées. Kurz: Wir waren schick und ignorant, zeitlos und ziellos gleichermaßen.
    Maia Schütz hatte während ihres Kunstgeschichtestudiums zu malen begonnen; ihre Malerei erregte in Kennerkreisen Aufsehen. Schon bald kamen die ersten Ausstellungen, erste verkaufte Bilder. In der Nacht nach einer Vernissage fuhr Maia, schon ein wenig berauscht, mit dem Fahrrad nach Hause. Die Bänder des Rucksacks, den sie in den Gepäckträger gestopft hatte, gerieten in die Speichen, Maia wurde vom Sattel gerissen und fiel so unglücklich, dass sie sich beide Arme brach. Beim Eingipsen der rechten Hand unterlief dem Arzt im UKH ein Fehler; das Handgelenk wurde steif, die Beweglichkeit konnte selbst durch nochmaliges Brechen nicht völlig wiederhergestellt werden. Bei alltäglichen Verrichtungen sah man es der Hand kaum an, aber gewisse Bewegungen waren unmöglich geworden. Maia musste die Malerei aufgeben. Eine schwere Depression befiel sie, sie wurde antriebslos und experimentierte mit Schlaftabletten.
    Zwei
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