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Titel: Autor
Autoren: Unbekannter Autor
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Synagoge, steckte seine Yarmulka in seine Jackentasche und ließ den Blick die gepflasterte Straße hinunterwandern. Zwei Häuserblocks weiter verlief der dicht befahrene Paseo de la Reforma, dessen allgegenwärtiger Verkehrslärm sein Gefühl innerer Ruhe und Ausgeglichenheit störte. Zu seiner Rechten erhellten die Lichter der alten Burg auf dem Chapultepec-Hügel den sich verdunkelnden Himmel.
    Er tauschte mit einer Gruppe junger Leute, die aus der Synagoge kamen, Shaloms aus und wandte sich nach links zur nächsten Straßenecke. Das Haus seines Sohns lag fünf Häuserblocks entfernt in einem teuren Wohnviertel Mexico Citys. Sein Sohn hätte ihn gern im Wagen von der Synagoge abgeholt, aber Rosenberg hatte darauf bestanden, zu Fuß zu gehen; die Bewegung tat ihm gut, und zudem gab es unterwegs immer etwas Interessantes zu sehen.
    6
    »Erzähl mir doch nichts von seinem Alter!« stieß Aaron Rosenberg aufgeregt hervor. »Er hat noch nie länger als eine Stunde für den Nachhauseweg gebraucht.« Er schritt nervös vor den Bogenfenstern seines Wohnzimmers auf und ab. »Aber inzwischen sind schon mehr als zwei Stunden verstrichen, nicht nur eine!«
    Mit seinem bleistiftdünnen Schnurrbart, seiner Adlernase und den dunklen, bohrenden Augen sah Rosenberg eher spanisch als jüdisch aus. Er ging zwar nur noch selten in die Synagoge, ließ ihr jedoch großzügige Spenden zukommen. Daher kannte er auch den Rabbi, mit dem er vor fünfundvierzig Minuten telefoniert hatte und der ihm versichert hatte, daß sein Vater die Synagoge bei Einbruch der Dämmerung verlassen hatte.
    »Vielleicht hat er unterwegs noch jemanden besucht«, brachte Rosenbergs Frau vor. Ihr Gesicht war tief gebräunt. Trotz ihrer achtunddreißig Jahre hatte sie vom täglichen Tennisspielen eine schlanke, sportliche Figur. Sie trug einen rustikalen Rock und eine dazu passende Bluse in kräftigen Rottönen.
    »Aber wen denn? Und schon gar nicht für zwei Stunden.«
    In diesem Moment hielt ein Mercedes am Straßenrand.
    »Esteban ist wieder zurück. Vielleicht hat er ihn gefunden.«
    Doch Esteban konnte nur berichten, daß er alle möglichen Routen abgefahren war, die der alte Rosenberg auf seinem Heimweg von der Synagoge hätte einschlagen können, ohne den alten Herrn zu finden. Darauf hatte er seine Suche auf die gesamte nähere Umgebung ausgedehnt. Andere Hausangestellte, die sich zu Fuß auf die Suche gemacht hatten, kehrten mit derselben beunruhigenden Nachricht zurück.
    »Geht noch mal los! Sucht weiter!«
    Rosenberg rief jedes Krankenhaus in Mexico City an. Nichts. Als schließlich bis Mitternacht alle Hausangestellten wieder zurückgekehrt waren - ohne seinen Vater -, verstieß er gegen eine Grundregel seiner Import-Export-Firma - laß die Polizei aus dem Spiel, es sei denn, du willst sie bestechen -und rief einen hohen Polizeibeamten an, dessen Villa am Chalco-See, hundertfünfzig Kilometer außerhalb der Stadt, erst kürzlich dank einer großzügigen Spende Rosenbergs renoviert worden war.
    Einen Monat später hatte sich noch immer keine Spur von Rosenbergs Vater gefunden.
    7
    Toronto, Mai. Von seinem Fensterplatz in der ersten Klasse einer Boeing 727 der Air Canada sah Joseph Kessler auf die flimmernde Weite des Ontario-Sees hinab. Selbst aus zwanzigtausend Fuß Höhe konnte er ganz deutlich die langgestreckte Form eines Binnenfrachtkahns erkennen. In Ufernähe sah er die kleineren Umrisse von Motorbarkassen und das gleißende Weiß windgeblähter Segel. Trotz des strahlenden Sonnenscheins mußte das Wasser dort unten bitterkalt sein. Die Männer auf diesen Segelbooten hingen wohl mit wahrer Besessenheit an ihrem Sport.
    Kessler nickte zustimmend. Aufgrund seiner Fähigkeit, seine eigene Zielstrebigkeit und Besessenheit in die richtigen Bahnen zu lenken, war es ihm gelungen, eine kleine Elektronikfirma in Providence zu einem blühenden Wirtschaftsunternehmen auszubauen, das ihn im Alter von vierzig Jahren zum Millionär gemacht hatte. Im Augenblick galt seine Besessenheit jedoch nicht dem weiteren Ausbau seines Unternehmens. Sie war rein persönlicher Natur, gespeist von loderndem Zorn.
    Doch gestattete er sich nicht, seine Wut zu zeigen. Den ganzen Flug über hatte er seine Fassung bewahrt und scheinbar ruhig seine geschäftlichen Unterlagen studiert, während er innerlich kochte. Geduld, schärfte er sich ein. Erfolg hängt von Geduld ab. Beherrsche dich.
    Zumindest jetzt.
    Vor ihm tauchte das weitläufige Stadtgebiet von Toronto auf. Er
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