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Ausgetanzt

Ausgetanzt

Titel: Ausgetanzt
Autoren: Anni Bürkl
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Friseurmeisterin, die Haare schneiden lassen. Ihr Stil
schien ebenso wie der Laden ein Relikt der Fifties zu sein, und somit
indiskutabel, wenn man unter 75 war. Sachte plätscherte ein Springbrunnen in
die Nacht.
    Berenike kontrollierte ihr Handy. Kein einziger Anruf, auch
nicht von Caro.
    »Gleich, Adi«, deutete Selma dem wie verrückt mit allen
Gliedmaßen zuckenden jungen Mann. Er zerrte erst an Selmas Arm, dann an
Berenikes. Deutete in die andere Richtung.
    »Was denn?« Ungeduldig stieß Berenike ihn weg, wollte den
Berührungen seiner Tintenfischarme ausweichen.
    »Dort!« Er schrie. Hielt sich die Hand vor den Mund. Ein
gequetschtes, nur halb gewagtes Schreien.
    »So, hier«, fing Ellen an.
    »Selma!« Adi ballte die Faust in seiner Manteltasche. Dann
zog er sie, mit sich selbst zufrieden, heraus. Alle Blicke folgten der
Richtung, in die sein Arm wies. Dann sahen sie es. In der Auslage der
Friseurin. Zwischen Haarspraydosen und Zeichnungen mit Frisuren von anno
dazumal. Das war doch –
    »Das ist nur eine Puppe, Adi. Werbung, nichts weiter. Komm,
Adi.«
    Nein, dachte Berenike. Das war keine Puppe. Das war …

Drei
Nerventee.
    Das war Caro. Caro, ohne Unterleib. Sie saß da,
wie …
    Berenike drängte das Würgen in ihren Magen zurück, als sich
die Erkenntnis im Kopf zusammensetzte. Sie schluckte und schluckte, schmeckte
die Galle.
    … wie die Schaufensterpuppe, die sonst für Katharinas
Haarschneidekunst Werbung machte. Die Puppe und ihre Frisur hatten immer so öd
ausgesehen, wie alles an diesem Studio. Doch die Puppe war weg. Stattdessen –
Caro.
    Berenike stand und glotzte. Unfähig, sich zu rühren. Starr,
erfroren jeder Muskel. Und diese bedrohliche Kälte im Nacken!
    Sie konnte den Blick kaum abwenden. Blutiges Fleisch, ein in
Ewigkeit erstarrter Augenblick, in diesem Verharren doch wieder puppengleich.
Nur dass Caro, im Gegensatz zum sonst ausgestellten blond gelockten Puppenkopf,
feurig rote Haare trug in einem wilden Schnitt, von dem Katharina nicht einmal
zu träumen gewagt hätte. Ein wunderschönes gelbes Baumwollhemd war um Caros
Körper, ihren toten Körper, drapiert. Wunderschön … wenn da nicht das Blut
gewesen wäre. Das Blut, das sich, schmierig und rot, von einer großen,
klaffenden Wunde an Caros Kehle über ihren schlanken Hals zog. Blutflecken
bedeckten den wunderbaren Stoff. In all dem Wahnsinn bemerkte Berenike noch,
wie teuer das Gewebe aussah. Brokat oder so. Ein anderes Bild schob sich
dazwischen, wie Caro getanzt hatte, neulich erst. In diesem fließenden Kleid,
den Hals stolz zurückgeworfen. Und jetzt – nie wieder.
    Berenike zwang ihren Blick zur Leiche zurück. Da war Blut auf
dem Fensterbrett, das Katharina, passend zum Sommer, mit Sand und
Plastikfischen dekoriert hatte. Unter dem Stoffsaum etwas, das nach Hautfetzen
aussah und daneben … es sah aus wie Gedärm. Berenike wollte es gar nicht
so genau wissen. Ein Kreischen entschlüpfte ihr. Weg, nur weg! Sie stolperte
über Selma, die neben ihr stehen geblieben war. Schockstarr wie sie selbst, die
Hände vors Gesicht geschlagen, vor den Mund, in einem Schrei verstummt, den sie
sich nicht erlaubte. Sie versuchte, sich zu beherrschen, doch ihr Blick sprach
eine andere Sprache. Angsterfüllte Augen, den Tränen nah.
    Berenike hatte einen Moment lang das unwirkliche Gefühl,
einer Inszenierung beizuwohnen, in der live eine Tote ausgestellt wurde, für
alle sichtbar, wie im Triumph darüber, dass der Täter die Macht in der Hand
hatte, dass er über das Leben seines Opfers entschied. Berenike blickte sich
um. Am Ende beobachtete der Mörder sie gar, wie sie dastanden.
    »Eine Puppe, das ist eine Puppe! Sicher ist das eine Puppe«,
rief Valerie verzweifelt und sah noch blasser aus als zuvor. Sie und Denise
stützten einander, so gut es ging, doch Denise schwankte selbst.
    »Nein. Es ist eine Tote.« Denise grinste Valerie schief an.
Und fiel dann auf einmal um. Valerie ließ sich neben ihr auf die Knie sinken.
Fächelte ihr Luft zu. Gleich darauf schlug die Studentin die Augen auf.
    »Die Polizei verständigen!«, schrie Selma.
    Jemand rief Denise zu: »Geht’s wieder?«
    »Hm, hm«, machte Denise und quälte sich in eine halbwegs
sitzende Position. Valerie schielte zu Gerhild, vermied den Blick auf das
blutige Desaster.
    Die Masseurin schniefte leise in ein Taschentuch und sah auf
die Auslage. »Irgendwer hat mal behauptet, Caro habe mir meinen Mann abspenstig
gemacht. Aber das hier … das wünsch ich niemandem.
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