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Aus dem Leben eines plötzlichen Herztoten - Tagebuch eines Tagebuchschreibers

Aus dem Leben eines plötzlichen Herztoten - Tagebuch eines Tagebuchschreibers

Titel: Aus dem Leben eines plötzlichen Herztoten - Tagebuch eines Tagebuchschreibers
Autoren: FUEGO
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untätowiert übergeben worden, und so will ich euch auch ins Leben entlassen.« Sie haben sich daran gehalten, obwohl ihnen eigentlich ein Blick auf unser Auto oder das, was wir seit zehn Jahren als unseren Wohnzimmertisch bezeichnen, reichen müsste, um zu bemerken, dass es da gar nichts zu erben gibt. Entweder sind sie nicht besonders intelligent oder besonders feinfühlig.
    Andere Eltern haben augenscheinlich weniger Probleme damit, man sieht in den Einkaufszonen sehr häufig Paare, bei denen sowohl die Frau als auch der Mann tätowiert sind. Ich frage mich, ob deren Kinder auch schon tätowiert zur Welt kommen. Sind Tattoos vererbbar? Und welche Tätowierung setzt sich dann durch? Jedenfalls sagt man nicht mehr: »Der Junge hat meine Augen«, sondern »der hat meine Tätowierungen«. Fragen die Eltern nach glücklich verlaufener Geburt: »Was ist es denn?«, erhalten sie von der Hebamme zur Antwort: »Ein Matrose.« Und dann überreicht sie ihnen einen Säugling, auf dem steht deutlich zu lesen: »Alles Fotzen außer Mutti.«
    Der magische Rasierpinsel
    Wenn überhaupt Tätowierungen, dann natürlich wiederabwaschbare. Die könnte man bei uns in der Taunus-Drogerie kaufen. Da hängen sie schon an der Eingangstür unter der Bezeichnung »Removable Tattoos«. Die Muster wirken etwas altmodisch und ausgeblichen und das ist kein Wunder, denn die Auslagen sind seit längerer Zeit nicht gewechselt worden. Man kann gar nicht sagen, ob die Waren in Euro, D-Mark oder Reichsmark ausgezeichnet sind. Die Taunus-Drogerie öffnet nämlich nur alle drei Jahre. Ohne Vorwarnung. Vielleicht auch nur alle vier Jahre und immer nur für ein paar Stunden. Beim letzten Mal war ich gerade mit meiner Tochter in der Stadt, und sie hat sich eine Haarklammer gekauft und ich einen Rasierpinsel. Die Taunus-Drogerie bietet die größte Auswahl an Haarklammern, Haarreifen, Haarbürsten und Rasierpinseln, die man sich vorstellen kann. Die komplett mit Haarklammern ausgefüllten Schaufenster wirken wie ein Kunstwerk. Man könnte den ganzen Laden in einem Museum für Moderne Kunst wieder aufbauen. Über den Besitzer sind jede Menge Geschichten im Umlauf, fast alle haben mit Alkohol zu tun, und das sind meistens keine schönen und immer die gleichen Geschichten.
    Ich glaube allerdings, auf dem Ladenbesitzer liegt ein Fluch, möglicherweise enthielt eines der wiederabwaschbaren Tattoos in Wirklichkeit eine Dämonenbeschwörungsformel, jedenfalls muss der Ladenbesitzer ruhelos über den ganzen Erdball irren, wobei er ständig Zeit und Raum wechselt, und nur alle paar Jahre kommt er nach Oberursel, um dort seinen Laden zu öffnen. Wenn man dann etwas einkauft, wird einem großes Glück zuteil, denn alle Waren sind mit wirkungsmächtiger Magie aufgeladen. Das stimmt wirklich, denn seit ich den Pinsel benutze, habe ich mich nie mehr beim Rasieren geschnitten. Das Haar der Tochter aber ist sehr lang und dicht geworden, und Friseure machen ihr einen kostenlosen Schnitt, wenn sie es nur mal anfassen dürfen.
    Das seltenste Gebäck der Welt
    Es heißt immer, man könne in unserer durchglobalisierten Welt jederzeit alles kaufen. Erdbeeren im Winter und Grünkohl im Sommer und Maibock im Herbst und Grüne Soße und frischen Spargel zu Weihnachten. Aber es gibt Dinge, die kriegt man nicht immer und jederzeit, und das sind: Amerikaner. Ein ganz besonderes Gebäck. Vor allem wegen dem Triebmittel, das für seine Herstellung verwendet wird: Ammoniumhydrogencarbonat. Wenn man das erhitzt, spaltet es oberhalb von etwa 60°C Ammoniak, Wasser und dazu noch Kohlenstoffdioxid ab. NH4HCO3 ——> NH3 + H2O + CO2. Das macht den Teig locker und sorgt für eine einzigartige Geschmacksnote, denn bei stärkerer Backhitze bilden sich besondere Aromen. Man nannte die Kuchenstücke deshalb zunächst Ammoniakaner, was sich dann zu Amerikaner verschliffen hat. Dass das Wort Ammoniumhydrogencarbonat den Bestandteil »drogen« enthält, weist auf das Suchtpotential dieses Gebäcks hin. Und nicht nur ich bin ihm verfallen, sondern große Teile der Bevölkerung, denn spätestens um 12:00 Uhr kann man in meiner Heimatstadt keine Amerikaner mehr bekommen, obwohl es von Bäckereien oder bäckereiidentischen Ersatzgeschäften nur so wimmelt. Die Leute sind verrückt danach, sie schmeißen sich das Zeug ein wie LSD-Trips. Ich würde es genauso machen, wenn ich nur an den Stoff rankäme. Manchmal habe ich Glück und es ist irgendwo noch ein leicht verbeulter Amerikaner übrig geblieben,
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