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Auge um Auge

Auge um Auge

Titel: Auge um Auge
Autoren: Siobhan Vivian , Jenny Han
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Lippen streifen meinen Hals. Dann fasst er mich um die Hüften und zieht mich an sich.

    Er ist nicht mein Typ. Nicht annähernd.
    Deswegen ist es auch so verrückt. Denn sobald ich ihm den Kopf zuwende, küssen wir uns.
    Und auf einmal kommt es mir so vor, als hätte ich den ganzen Sommer darauf gewartet, dass es passiert.

1 WOCHE
SPÄTER

01 LILLIA  Ich sitze im Bad auf dem Waschtisch und versuche mich zu erinnern, was die Frau in der Kosmetikabteilung bei Saks in New York dazu gesagt hat, wie man bei asiatischen Augen Eyeliner am besten aufträgt. Aber irgendwie kann ich heute keinen klaren Gedanken fassen.
    Ich meine, sie hat gesagt, ich soll den Lidstrich nach oben hin ganz leicht verlängern. Ich schminke erst mal das rechte Auge, und es sieht tatsächlich ganz okay aus.
    Als ich mit dem linken fast fertig bin, hämmert Nadia, meine kleine Schwester, so laut an die Tür, dass ich zusammenfahre.
    »Lil! Ich muss duschen!«, brüllt sie. »Lilliiiii!«
    Ich greife nach meiner Haarbürste, strecke einen Arm aus und schließe auf.
    Nadia stürmt herein und stellt das Wasser an. In ihrem weiten Fußballhemd, die glänzend schwarzen Haare lässig im Nacken zusammengebunden, sitzt sie dann auf dem Wannenrand und sieht mir zu, wie ich mir die Haare bürste. »Du siehst hübsch aus«, sagt sie. Ihre Stimme ist noch ganz rau vom Schlaf.
    Hübsch? Wirklich? Wenigstens äußerlich bin ich unverändert .
    Ich bürste immer weiter. Dreiundzwanzig, vierundzwanzig, fünfundzwanzig, fertig . Jeden Morgen bürste ich mir fünfundzwanzig Mal die Haare. Das habe ich schon als kleines Mädchen so gemacht.
    Dieser Tag wird nicht anders sein als andere.
    »Hey, ich dachte, man soll nach dem Labor Day nichts Weißes mehr tragen«, sagt Nadia dann noch.
    Ich sehe an meinem neuen Pullover hinunter. Er ist aus weißem Kaschmir, ganz weich und kuschelig. Dazu trage ich knappe weiße Shorts. »Kein Mensch hält sich mehr an die Regel«, erkläre ich ihr, während ich vom Waschtisch hüpfe. »Abgesehen davon ist das kein normales Weiß, sondern Winter weiß.« Ich schlage ihr leicht mit dem Bürstenstiel auf den Po. »Und jetzt beeil dich und geh duschen.«
    »Muss ich mir noch Locken machen, bevor Rennie kommt?«
    »Nein«, sage ich und schließe die Tür hinter mir. »Fünf Minuten.«
    In meinem Zimmer packe ich wie auf Autopilot meine Schulsachen in die braune Umhängetasche: meinen neuen Stift und den Terminplaner aus echtem Leder, den Mom mir zum Schulanfang geschenkt hat. Lollies. Und meinen Labello Kirsche. Ich überlege, ob ich irgendwas vergessen haben könnte, doch mir fällt nichts ein, also schnappe ich mir meine weißen Espandrillos und laufe nach unten.
    Mom steht im Morgenmantel in der Küche und trinkt einen Espresso. Dad hat ihr zu Weihnachten eine dieser schicken Espressomaschinen geschenkt, und sie achtet darauf, sie wenigstens einmal die Woche zu benutzen, auch wenn sie lieber Tee trinkt und auch wenn Dad so selten zu Hause ist, dass er kaum mitbekommt, ob sie das Ding benutzt oder nicht. Er ist Arzt, arbeitet aber in der Forschung. So lange ich zurückdenken kann, arbeitet er schon an einem Medikament, mit dem man Krebs heilen kann. Einen Teil des Monats arbeitet er in einem Labor in Boston, außerdem hält er in der ganzen Welt Vorträge, um seine Ergebnisse zu präsentieren. Diesen Sommer war er sogar auf dem Titel einer Wissenschaftszeitschrift – wie sie hieß, weiß ich aber nicht mehr.
    Mom zeigt auf einen Teller mit Muffins. »Setz dich und iss, bevor du gehst, Lilli. Ich hab extra die mit Zucker besorgt, die du so magst.«
    »Rennie muss jeden Moment hier sein«, sage ich. Als ich ihre enttäuschte Miene sehe, nehme ich einen Muffin und wickle ihn in eine Papierserviette. »Ich ess ihn im Auto.«
    Sie streicht mir übers Haar. »Ich kann es immer noch nicht glauben, dass jetzt dein Senior-Jahr an der High School beginnt. Nur noch ein Jahr, dann ziehst du aus und gehst aufs College. Mein hübsches Töchterchen ist erwachsen geworden.«
    Ich weiche ihrem Blick aus. Vermutlich bin ich das jetzt wirklich – erwachsen.
    »Wenigstens habe ich mein Baby noch. Ist Nadia auch gleich so weit?«
    Ich nicke.
    »Pass ein bisschen auf Nadi auf, jetzt, wo ihr an derselben Schule seid. Du weißt, wie sehr sie zu dir aufsieht, Lilli.«
    Mom drückt mir den Arm, und ich schlucke heftig. Ich werde besser auf Nadia aufpassen müssen, wirklich, nicht so wie Samstagabend, als ich sie auf Alex’ Party einfach allein gelassen
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