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AUFBRECHEN! - Warum Wir Eine Exzellenzgesellschaft Werden Muessen

AUFBRECHEN! - Warum Wir Eine Exzellenzgesellschaft Werden Muessen

Titel: AUFBRECHEN! - Warum Wir Eine Exzellenzgesellschaft Werden Muessen
Autoren: Gunter Dueck
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sind immer da, Urlaubsvertretung gibt es kaum. Um 5 Uhr morgens beginnt der Tag mit dem Melken, am Abend endet er mit einer letzten Fütterung der Tiere. Oft mussten wir nachts raus, weil eine Kuh von der Kette gekommen war und frei im Stall herumgeisterte. Alles muhte, die anderen Kühe bekamen es im Dunkeln mit der Angst zu tun. Oft wurden Kühe krank, ab und zu starb ein Kalb. Zweimal mussten wegen der Maul- und Klauenseuche unsere lieb gewonnenen Kühe weggeschafft werden. Die Pflichtversicherung zahlte einen Teil des Schadens. Mein Vater bewirtschaftete als Pächter einen nach heutigen Maßstäben eher kleinen Bauernhof (30 ha), hatte vielleicht 40 Mitarbeiter, die entweder ständig arbeiteten oder zeitweise zur Ernte dazukamen. Auf den Feldern baute man damals auch Rotkohl, Weißkohl, Wirsing, Blumenkohl, Spinat, Möhren, Erbsen, Bohnen, Salat, Kartoffeln und Kohlrüben an – nicht nur Getreide!
    Und dann kaufte mein Vater Technologie – einen Trecker.
    Die Pferde wurden unter unseren Kindertränen als erste Arbeitnehmer entlassen und in eine ungewisse Zukunft geschickt. Sie verschwanden eines Tages. Der Trecker stand jetzt im Pferdestall, wie er noch heute genannt wird. Der Futterplatz wurde durch einen Dieseltank ersetzt. Die Plackerei des Pflügens entfiel jetzt fast ganz! Diese Arbeit war nun fast eine Freude.
    Auf der anderen Seite verursachte der Trecker viele Probleme auf dem Hof. Er war sehr teuer und musste abgezahlt werden. Er ging oft kaputt – mein Vater musste neu lernen und wurde fast Hilfsmechaniker. Der Trecker versank bei nasser Erde, die Erdbrücken über die Entwässerungsgräben entlang den Äckern waren zu weich und mussten gefestigt werden. Die Speichenrad-Ackerwagen hatten keine Anhängerkupplungen. Mein Vater musste also neben dem Pflug auch nach und nach alle Geräte erneuern. Er kaufte einen Ackerwagen mit den heute noch üblichen Gummireifen. Die waren zu breit für die Brücken über die Gräben. Die Wege zwischen den Äckern bekamen tiefe Spuren von den Treckern und verschlammten. Es gab schon damals »Grüne«, die das Ende der Welt heraufkommen sahen. Der Acker werde sich von den tiefen Spuren nie erholen. Es kamen wilde Gerüchte in Umlauf (so wie ganz früher bei Eisenbahnen, dass Passagiere bei hohen Geschwindigkeiten stürben).
    Die Technologieinvestitionen mussten sich ja auszahlen! Mein Vater musste überlegen, Leute zu entlassen. Er rationalisierte, indem er nur noch Feldfrüchte anbaute, die zum Trecker passten. Das waren und sind noch heute die Getreidearten und die Rüben. Der Gemüseanbau fiel der Standardisierung der Produktion zum Opfer. Die meisten Saisonarbeiten zum Erbsenpflücken oder zum Spinatschneiden entfielen, die Mitarbeiter wurden verabschiedet. Das Leben mit dem Trecker wurde körperlich leichter, eintöniger und wurde mehr zur Routine.
    Der Trecker konnte effizienter eingesetzt werden, wenn er große Felder bearbeiten konnte. Bei Gemüseanbau in Handarbeit sind kleine Beete in Ordnung, für Trecker nicht. Die Bauern begannen, Felder zu tauschen, sodass sie weniger und größere Felder besaßen.
    Die Technologie zog auch in die Ställe ein. Melkmaschinen mit Oberleitungen der Milch in große Stahlbottiche kamen auf. Mein Vater musste wieder investieren. Die Melker zitterten. Mein Vater sah, dass die hohen Kosten der Technologie zur Spezialisierung zwangen. Ein Trecker reicht eigentlich für zwei oder drei Höfe und eine Melkmaschine für viel mehr Kühe als die wenigen in unserem Stall. Mein Vater beschloss, sich auf eine Kernkompetenz zurückzuziehen (ich verwende hier konsequent das heutige Vokabular, damit Sie sofort sehen, dass damals wirklich alles ganz genauso ablief wie heute!).
    Er durfte das nicht ohne Weiteres, da er als Pächter seine Geschäfte bei der Landwirtschaftlichen Beratungsstelle genehmigen lassen musste (diese Stelle war sein »Aufsichtsrat«). Es stellte sich heraus, dass noch kein anderer Pächter auf diese Idee gekommen war. Die Berater warnten vor den unabsehbaren Risiken einer Monokultur und sprachen sich für die Beibehaltung der Diversifikation aus. Ich weiß noch, wie mein Vater viele Abende rechnete und Tabellen zusammentrug. Er präsentierte das Ergebnis (heute in Excel und PowerPoint), dass achtzig Prozent der Arbeit bei der Viehhaltung anfiel, aber nur zwanzig Prozent des Gewinns. Das wusste damals niemand. Man glaubte ihm auch nicht.
    Er blieb sich treu, ließ die Berechnungen in der Beratungsstelle zurück und
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